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I. Betriebsratswahlen
Die neuen Regelungen des BetrVG, die die Änderung und / oder Ergänzung des Wahlverfahrens betreffen, beabsichtigen zunächst den Schutz der Mitarbeiter:innen, die sich an der Wahl des Betriebsrats beteiligen. Insbesondere sollen Fehler und Störungen verringert werden, die immer wieder im Laufe des – erstmaligen – Wahlverfahrens auftreten. Dieser Gedanke der Regelungen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes zum Wahlverfahren ist in der Sache zutreffend. Das Wahlverfahren stellt selbst für erfahrene Betriebsratsmitglieder erhebliche Hürden auf und führt in vielen Punkten zur Verunsicherung. Einige der neuen Vorschriften, wie bspw. die Herabsetzung des Alters der Wahlberechtigten auf 16 Jahre (§ 7 BetrVG), dürften eine Verbesserung der gesetzlichen Situation darstellen.
Darüber hinaus ist jedoch festzustellen, dass die neuen Regelungen zum Wahlverfahren an sich erst zu einem Zeitpunkt ansetzen, in dem die Vorbereitungen zur Einleitung der Wahl in der Regel bereits abgeschlossen sind. Dabei muss beachtet werden, dass bereits bei den Vorbereitungshandlungen Fehler möglich sind, die eine anschließende Wahlanfechtung gem. § 19 BetrVG begründen. Neben anderen Anfechtungsgründen ist an dieser Stelle z.B. an die fehlerhafte Bestellung des Wahlvorstandes oder dessen nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung zu denken, durch welche – trotz eines weiteren ordnungsgemäßen Verlaufs – die Betriebsratswahl anfechtbar wird. Dies hat das Betriebsratsmodernisierungsgesetz nicht adressiert.
Mit dem Hintergrund, dass auch Betriebsratswahlen durch einen Wahlvorstand durchgeführt werden, der zuvor keine Berührungspunkte mit der Betriebsverfassung hatte – und dadurch auch in der Regel keine Kenntnis von seinem Anspruch auf eine Wahlschulung nach § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG besitzt – können gerade unbewusste Fehler, die ggf. auch bei den anschließenden Wahlen übernommen werden, auftreten. Zwar führen nur erkannte und rechtzeitig geltend gemachte Mängel zu einem Anfechtungsverfahren, jedoch kann die Durchführung eines solchen Verfahrens zu einem erheblichen Motivationsverlust der gewählten Betriebsratsmitglieder bzw. beteiligten Mitarbeiter:innen führen. Was zur Folge haben kann, dass die Mitarbeiter:innen sich nicht in den Wahlvorstand bestellen lassen möchten und dieser gegebenenfalls im Rahmen eines Beschlussverfahrens durch das Arbeitsgericht gem. § 16 Abs. 2 BetrVG einzusetzen ist.
Um reibungslose Betriebsratswahlen zu ermöglichen und so den Anreiz zu vergrößern, erstmalig eine solche Wahl durchzuführen, bedarf es einer größeren Aufklärung von Belegschaften, die einen Betriebsrat errichten könnten. Anschließend an diese Information, sollte den Mitarbeiter:innen vor der Bestellung eines Wahlvorstandes – wie aufgezeigt können bereits bei diesem Schritt anfechtungsbegründende Fehler auftreten – die Möglichkeit offengelegt werden, einen Sachverstand hinzuziehen zu können.
Es stellt sich jedoch die Frage, wer diese Aufgabe übernehmen kann und zugleich eine gewisse Neutralität wahrt. Von der Arbeitgeberseite ist ein solches Vorgehen nur in den wenigsten Fällen zu erwarten, da diese im ersten Moment nicht sehr erfreut über die Gründung des Betriebsrats sein dürfte. Dass der Wahlvorstand, insbesondere bei der erstmaligen Wahl, direkt seinen Anspruch auf einen Sachverstand geltend macht, wird aufgrund der Unkenntnis nur sehr selten der Fall sein. Ein gangbarer Weg wäre es, dass die Gewerkschaften, über ihre Beteiligung nach §§ 16, 17 BetrVG hinaus, vorzeitig in die Planung der Betriebsratswahl eingebunden werden und dadurch die Zusammenarbeit zwischen den Interessenvertretungen auf tariflicher und betrieblicher Ebene von Beginn an gestärkt wird. In diesem Rahmen sollten die Mitarbeiter:innen alle erforderlichen Informationen erhalten, damit sie für die Einberufung und Durchführung der Betriebsratswahl vorbreitet sind.
Zudem dürfte eine weitere Einschränkung des Anfechtungsrechts zu diskutieren sein. Derzeit reicht es nach § 19 Abs. 1 BetrVG aus, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Mit dem Hintergrund, dass die meisten Fehler bei einer Wahl eher auf die begründete Unkenntnis des Wahlvorstandes als auf dessen Absicht zurückzuführen sind, besteht ein möglicher Ansatz darin, die Anfechtbarkeit der Wahl auf grobe – und nicht auf den weiten Begriff der wesentlichen – Verstöße zu beschränken. Dies hätte eine Reduzierung der Anfechtungsverfahren zur Folge und führt zu einem Bestand des einmal gewählten Gremiums.
II. Qualifizierung
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sieht zudem vor, die Qualifizierung der Mitarbeiter:innen im Rahmen des § 96 BetrVG zu stärken. Nach der Gesetzesbegründung ist der Hintergrund auf die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt zurückzuführen. Im Fokus steht die berufliche Förderung der benötigten Kompetenzen der Mitarbeiter:innen, um so einen Fachkräftemangel in der Arbeitswelt 4.0 zu vermeiden. Nach § 96 Abs. 1a BetrVG können die Betriebsparteien aus diesem Grund im Rahmen von Maßnahmen der Berufsbildung die Einigungsstelle um Vermittlung anrufen, soweit eine Einigung sonst nicht möglich ist.
Es wird deutlich, dass der Regierungsentwurf eine Differenzierung bei den Einigungsstellenverfahren bewirken möchte, bei denen durch einen Spruch der Einigungsstelle abschließend entschieden wird und im Rahmen von § 96 BetrVG der Einigungsstelle lediglich vermittelnde Wirkung zukommt. Neben den Sorgen der Vertreter der Arbeitgeberseite, dass ein solches Verfahren aufgrund seiner Kosten nicht betriebswirtschaftlich sei (Schiefer / Worzalla NZA 2021, 817 (824); Grambow NJW 2021, 2074 (2076)), wird auch der Zweck der neuen Vorschrift, die Mitarbeiter:innen auf die fortschreitende Digitalisierung vorzubereiten, wohl mangels Letztentscheidung durch Spruch verfehlt.
Durch die Einleitung des Einigungsstellenverfahrens kann die Verweigerungshaltung des Arbeitgebers bezüglich der beruflichen Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter:innen gestärkt werden. Anstatt in eine begründete Verhandlung zwischen den Betriebsparteien einzusteigen, kann nun voreilig ein Einigungsstellenverfahren eingeleitet werden, dass nicht zu der erforderlichen abschließenden Entscheidung führt. Dem Betriebsrat steht in diesem Fall einzig der Vorteil zu, dass er aufgrund des Kostenrisikos der Arbeitgeberseite in ein zusätzliches Druckmittel erhält.
Eine gewünschte Lösung, die sich der Entwicklung der Arbeitswelt 4.0 anpasst, setzt demnach vielmehr einen schnellen und praxisgerechten Prozess voraus. Dies entspricht dem Grundgedanken des § 96 BetrVG, der den Zweck verfolgt, die Persönlichkeit und Würde der Mitarbeiter:innen zu wahren (Hammer Berufsbildung S. 33). Diesen Prozess durch die Einsetzung einer Einigungsstelle, der nur vermittelnde und nicht eine abschließende Wirkung zukommt, , kann nicht unter dem Begriff der Modernisierung gefasst werden.
Dieser Beitrag ist der dritte Teil unserer Beitragsserie zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Wir gehen im Rahmen dieser Beiträge der Frage nach, ob es dem Gesetzgeber mittels des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes gelungen ist, eine Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes an die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorzunehmen.