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Mit Beschluss vom 16.01.2024, Az. 24 BVGa 1/24, erließ das Arbeitsgericht Hamburg eine der ersten Entscheidungen zu den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats beim Einsatz Künstlicher Intelligenz. Das Gericht lehnte ein Mitbestimmungsrecht des (Konzern)Betriebsrates bei der Nutzung Künstlicher Intelligenz mittels privater Accounts der Beschäftigten ab. Dies ist jedoch in den Besonderheiten des zu entscheidenden Falles begründet. Der folgende Beitrag erläutert die Hintergründe der Entscheidung und erklärt, warum sie entgegen allem Anschein weder wegweisend noch von genereller Bedeutung sein dürfte.
Der Sachverhalt
Die Arbeitgeberin schaltete nach kurzzeitiger Sperrung den Internetzugang zu ChatGPT in ihrem Unternehmen wieder frei und veröffentlichte Richtlinien sowie ein Handbuch zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz (im Folgenden: „KI“) zur Erbringung der Arbeitsleistung: die Nutzung von KI mittels privater Accounts der Arbeitnehmer:innen war gestattet bzw. sogar gewünscht, wobei die in Rede stehenden Programme nicht fest installiert waren, sondern über einen Internetbrowser genutzt werden konnten. Dienstliche Accounts wurden nicht erstellt. Zur Nutzung von Internetbrowsern bestand bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung.
Der bei der Arbeitgeberin gebildete Konzernbetriebsrat sah in der Entsperrung von ChatGPT und der Veröffentlichungen der Richtlinien seine Mitbestimmungsrechte, u.a. in Fragen des Ordnungsverhaltens nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und bei der Einführung und Anwendung technischer Überwachungseinrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verletzt. Außerdem stützte er sich auf die Verletzung seines Unterrichtungs- und Beratungsrechts nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Anträge des Konzernbetriebsrates zurück.
Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestehe nicht, da im vorliegenden Fall nicht das Ordnungsverhalten, sondern das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten der Mitarbeiter:innen betroffen gewesen sei. Die Richtlinien und das Handbuch beinhalten Anordnungen, die nur die Art und Weise der Arbeitserbringung beträfen. Ebenso wenig sah das Gericht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unter Zugrundelegung der gängigen Rechtsprechung verletzt. Gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer:innen zu überwachen. Zur Überwachung bestimmt sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über die Arbeitnehmer:innen zu erheben; eine subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers ist nicht erforderlich (BAG 03.12.2016 – 1 ABR 7/15). Die Überwachung müsse durch die technische Einrichtung selbst erfolgen. Diese muss, so das Gericht, aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen, was voraussetze, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Da die KI-Programme im vorliegenden Fall nicht auf den Rechnern installiert waren, sondern über die Browser genutzt wurden, stellten nicht die KI-Programme, sondern der Browser die technische Überwachungseinrichtung im Sinne der Vorschrift dar, da er den Sucherverlauf des Nutzers abspeicherte. Da die Beteiligten zur Browsernutzung bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossen hatten, sah das Gericht das Mitbestimmungsrecht des Konzernbetriebsrats als bereits verbraucht an. Im Übrigen hätte der Arbeitgeber, da es sich um private Accounts seiner Mitarbeitenden handle, keinen Zugriff auf weitere Informationen zur Nutzung der KI-Programme. Auf die Daten, die die jeweiligen Hersteller aufzeichnen, könne der Arbeitgeber nicht zugreifen.
Zur Frage des Unterrichtungs- und Beratungsrechts des Betriebsrats in Bezug auf den Einsatz von KI gem. § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG hielt das Gericht lediglich fest, dass ein einmaliger Verstoß seitens des Arbeitgebers keine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG darstelle und daher die angestrebte einstweilige Verfügung des Konzernbetriebsrats nicht begründen könne.
Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung bedeutet keinesfalls, dass der Betriebsrat bei der Nutzung von KI mittels privater Accounts keine Mitbestimmungsrechte hat. Es muss im Einzelfall immer genau geschaut werden, ob durch die Einführung und/oder Anwendung der technischen Einrichtung eine Überwachung durch den Arbeitgeber möglich ist. Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit darin, dass die Mitarbeitenden die KI-Programme lediglich über den Browser nutzten. Selbst durch die Browsernutzung ist eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle an sich möglich. Das Gericht lehnte das Mitbestimmungsrecht nur im Hinblick auf die bereits bestehende Konzernbetriebsvereinbarung zu den Internetbrowsern ab.
Dürfen Mitarbeitende ihre privaten Accounts auf beim Arbeitgeber fest installierten KI-Programmen nutzen, so dürfte dem Arbeitgeber in aller Regel eine Überwachung möglich und damit die Mitbestimmung des Betriebsrats eröffnet sein. Auch das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrats nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG in Bezug auf Arbeitsverfahren und -abläufe einschließlich des Einsatzes von KI dürfte unzweifelhaft gegeben sein. Sinn und Zweck der Ergänzung des § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG um das Beratungsrecht beim Einsatz von KI ist, dass KI die Arbeitsabläufe und Arbeitsverfahren und damit im Ergebnis die Arbeitnehmer:innen erheblich beeinflussen kann (BT-Drs. 19/28899, S. 23). Diesen Einfluss hat der Einsatz von KI unabhängig davon, ob er durch dienstliche oder private Accounts erfolgt, solange der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall den Einsatz von KI gestattet.
Ausblick und Praxistipp
Vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg insbesondere hinsichtlich der Mitbestimmung im Rahmen von KI fehlinterpretiert werden könnte, ist die Entscheidung nicht zu begrüßen. Der Arbeitgeber durfte sich im vorliegenden Fall mitbestimmungsfrei die (teils kostenpflichtige!) Nutzung privater Accounts seiner Mitarbeitenden zunutze machen. Fraglich ist bereits, ob dies im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG steht, wonach der Arbeitgeber die notwendigen Arbeitsmittel auf seine Kosten den Arbeitnehmer:innen zur Verfügung stellen muss (BAG 10.11.2021 – 5 AZR 334/21). In einer derartigen Konstellation bleibt zu befürchten, dass es zu einem Ungleichgewicht in der Arbeitsleistung der Mitarbeitenden kommt. Arbeitnehmer:innen, die diverse KI-Progamme mit ihren privaten Accounts unterstützend zur Arbeitserbringung nutzen, können auf Dauer einen Vorteil gegenüber denjenigen Kolleg:innen haben, die keine KI nutzen. Die dann zu Tage tretenden Unterschiede der Arbeitsleistung sind das Ergebnis einer mittelbaren Leistungs- und Verhaltenskontrolle.
Für die Praxis bedeutet die Entscheidung jedoch nicht, dass per se kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1Nr. 6 BetrVG beim Einsatz Künstlicher Intelligenz besteht. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Denn der Sachverhalt birgt eine Fülle an Besonderheiten, sodass bereits bei kleinsten Abweichungen ein Mitbestimmungsrecht bestanden hätte. Sobald eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle möglich ist, muss der Betriebsrat beteiligt werden. Dies ist -wie aufgezeigt- bei der Nutzung von KI-Programmen an dienstlichen Endgeräten in der Regel der Fall. Sieht der Betriebsrat sich hierbei nicht ordnungsgemäß durch den Arbeitgeber beteiligt, sollte er diesen rechtzeitig zu Verhandlungen auffordern. Ebenso sollte der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber auf sein Unterrichtungs- und Beratungsrecht nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG bestehen. Ist streitig, ob im Einzelfall eine Informations- und Beratungspflicht des Arbeitgebers nach § 90 BetrVG besteht, kann dies im Beschlussverfahren vom Arbeitsgericht entschieden werden.