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Kann die:der Arbeitgeber:in der:dem gekündigten Mitarbeiter:in unter bestimmten Voraussetzung ein von § 1a KSchG abweichendes Abfindungsangebot unterbreiten? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Arbeitsgericht Erfurt.
Sachverhalt
Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht Erfurt – Az. 6 Ca 186/21 – verfolgt der Mitarbeiter die Zahlung einer höheren Abfindung nach Erhalt einer fristgerechten ordentlichen Kündigung durch die beklagte Arbeitgeberin. Letztere führte zur Begründung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dringende betriebliche Erfordernisse an. Hinsichtlich der Abfindung enthielt das Kündigungsschreiben die folgende Formulierung: „Für den Fall, dass Sie keine Kündigungsschutzklage nach § 1a KSchG anstreben, bieten wir Ihnen eine Abfindung von brutto 3.000,00 EUR an, welche Sie nach Ablauf der Kündigungsfrist am 31.12.2020 beanspruchen können.“
Nach Ablauf der Kündigungsfrist und Auszahlung der 3.000 EUR machte der Kläger gegenüber der beklagten Arbeitgeberin geltend, dass ihm eine höhere als die ausgezahlte Abfindung zustünde. Er vertritt die Ansicht, dass die Beklagte sich in ihrem Kündigungsschreiben auf den Abfindungsanspruch bei betriebsbedingten Kündigungen gemäß § 1a KSchG beziehe, nach dem die Höhe der Abfindung einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses betrage. Danach schulde die Beklagte ihm eine Abfindung in Höhe von 9.395 EUR. Die beklagte Arbeitgeberin führt dagegen an, dass sie entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durch das Kündigungsschreiben ein von § 1a KSchG abweichendes Abfindungsangebot unterbreitet habe, das der Kläger durch die Entgegennahme der 3.000 EUR und der mangelnden Rückzahlung des Geldes angenommen habe.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht Erfurt folgt der Ansicht des Klägers und gibt seiner Klage auf Auszahlung einer höheren Abfindungssumme vollumfänglich statt. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, dass das Kündigungsscheiben der beklagten Arbeitgeberin kein von § 1a KSchG abweichendes Abfindungsangebot enthält, das der Mitarbeiter angenommen hat (BAG 19.06.2007 – 1 AZR 340/06; BAG 13.12.2007 – 2 AZR 807/06; BAG 10.07.2008 – 2 AZR 209/07).
Der:Dem Arbeitgeber:in ist es möglich, Mitarbeiter:innen abweichend von § 1a KSchG ein individuelles Abfindungsangebot zu unterbreiten. Voraussetzung ist jedoch, dass das Angebot deutlich und unmissverständlich klar ausgestaltet ist und der:dem Mitarbeiter:in zu erkennen gibt, sich nicht an die Vorgaben des § 1a KSchG binden zu wollen. Für die Beurteilung des Angebots ist auf die Erklärung der:des Arbeitgeber:in abzustellen. Sie:Er hat kenntlich zu machen, welche Abfindung unter welchen Voraussetzungen angeboten wird. Der:Dem Mitarbeiter:in ist aufgrund des Verzichts auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage aufzuzeigen, zu welchen konkreten Konditionen sie:er aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
Vorliegend nahm die Arbeitgeberin in dem Kündigungsschreiben unmittelbar Bezug auf § 1a KSchG. Damit hat sie gerade nicht unmissverständlich klar gemacht, dass der Kläger ein von § 1a KSchG abweichendes Abfindungsangebot erhalten soll. Vielmehr stellte die Erwähnung der Vorschrift für den Kläger den Hinweis dar, dass der Abfindungsbetrag nach den gesetzlichen Vorgaben errechnet und ausgezahlt wird. Dass der Kläger die Zahlung des geringeren Abfindungsbetrages entgegengenommen und nicht zurückgezahlt hat, ist insoweit ohne Bedeutung.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung zeigt, dass missverständliche Formulierungen der:des Arbeitgeber:in im Kündigungsschreiben zur Bestimmung der Abfindung bei betriebsbedingten Kündigungen im Zweifel zugunsten der Mitarbeiter:innen ausgelegt werden dürften und folgt damit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
In der betrieblichen Praxis kann es für eine Abweichung vom Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG genügen, dass die:der Arbeitgeber:in im Kündigungsschreiben allein einen Verweis auf kollektivrechtliche Regelungen anführt, wie etwa die Berechnung einer Abfindung nach einem Sozialplan. Zu beachten ist, dass eine Anrechnung betriebsbedingter Abfindungen auf Abfindungen aus einem Sozialplan vom Gesetz nicht vorgesehen ist, da der Anspruch aus dem Sozialplan nicht den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage voraussetzt (BAG 19.06.2007 – 1 AZR 340/06). Eine solche Anrechnung – nicht aber der Verzicht auf die Klage – kann von den Betriebsparteien im Sozialplan geregelt werden.