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In der Praxis ist schon seit langem umstritten, unter welchen Voraussetzungen Matrixmanager in ihnen „fremde“ Betriebe eingegliedert werden.
Der nachfolgende Beitrag bespricht ein Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.12.2024 (Az.: 10 TaBV 1088/23), das eine für die Praxis höchstrelevante Frage im Betriebsverfassungsrecht behandelt: liegt eine mitbestimmungspflichtige „Einstellung“ im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG vor, wenn eine Führungskraft (sog. Matrixmanager:in), die bei einem konzernverbundenen Unternehmen im Betrieb A angestellt ist, fachliche Weisungsbefugnisse gegenüber Arbeitnehmern in einem Betrieb B der Arbeitgeberin in Deutschland ausübt, ohne dass sie dort arbeitsvertraglich angestellt oder physisch tätig ist.
Sachverhalt
Der Betriebsrat eines Unternehmens für medizinische Diagnostik mit Sitz in Hennigsdorf (Brandenburg) will die Einstellung einer Führungskraft aufheben. Er ist der Meinung: Die Person – eine sogenannte „Matrix-Managerin“ – sei ohne seine Zustimmung in den Betrieb eingegliedert worden. Die Arbeitgeberin sieht das anders und hält die Maßnahme für nicht zustimmungspflichtig.
Die Arbeitgeberin gehört zu einem internationalen Konzern mit einer sogenannten Matrixorganisation. Das bedeutet: Mitarbeitende können fachlich mehreren Vorgesetzten unterstellt sein – auch solchen, die bei anderen Konzerngesellschaften (im In- oder Ausland) angestellt sind. Genau das ist hier der Fall.
Konkret geht es um Frau Dr. A, die mit einem österreichischen Arbeitsvertrag für eine Konzerntochter tätig ist – also formell gar nicht bei der Arbeitgeberin angestellt. Sie ist aber seit April 2022 fachliche Vorgesetzte eines fünfköpfigen Vertriebsteams, das direkt in Hennigsdorf tätig ist. Das Team vertreibt ein Diagnostikprodukt zur Blutvergiftungsfrüherkennung.
Frau Dr. A ist dabei nicht vor Ort, sondern arbeitet aus Österreich. Sie führt mittels Informations- und Kommunikationssysteme (IKT-Systeme) regelmäßig digitale Meetings mit dem Team. Sie ist verantwortlich für Leistungsbeurteilungen, Zielvereinbarungen und genehmigt Fortbildungen und Urlaube. Die disziplinarische Verantwortung liegt formal beim Personalleiter der Arbeitgeberin, aber Frau Dr. A wird regelmäßig einbezogen. Sie selbst unterliegt nur mittelbar dem Weisungsrecht des Betriebsinhabers.
Das Arbeitsgericht Neuruppin wies die Anträge des Betriebsrats auf Aufhebung und Einstellung der Matrixmanagerin (§§ 99, 101 BetrVG) zurück. Frau Dr. A sei nicht dergestalt eingegliedert, dass eine Beteiligung des Betriebsrat nach § 99 BetrVG hätte erfolgen müssen. Dementsprechend hätte der Betriebsrat auch nicht die Aufhebung der Maßnahme verlangen können.
Der Betriebsrat legte gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg änderte den Beschluss des Arbeitsgerichts Neuruppin auf die Beschwerde des Betriebsrats hin ab und gab der Arbeitgeberin auf, die Einstellung der Frau Dr. A im Betrieb in Henningsdorf aufzuheben, solange die Zustimmung zu ihrer Entscheidung nicht vom Betriebsrat erteilt oder im Fall der Zustimmungsverweigerung arbeitsgerichtlich ersetzt wurde.
Nach dem Landesarbeitsgericht liegt eine Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG vor. Demnach ist Fr. Dr. A in den Betrieb in Henningsdorf eingegliedert, um dort mit den schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Die für eine Einstellung erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation setzt nicht voraus, dass Fr. Dr. A ihre Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mit Hilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt. Es kommt bei der Frage der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation stets auf die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit an.
Für Führungskräfte ist insofern maßgeblich, ob sich aus der Wahrnehmung der Aufgaben des Arbeitnehmers als Führungskraft eine Einbindung bei der Erfüllung der im Betrieb von den dortigen Arbeitnehmern zu erledigenden operativen Aufgaben oder in die dortigen Arbeitsprozesse ergibt. Dies ist typischerweise der Fall, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig zur Durchführung der ihm obliegenden Aufgaben mit den Arbeitnehmern im Betrieb zusammenarbeiten muss und in die Betriebsorganisation integriert ist. Dies muss nicht vor Ort geschehen, sondern kann auch mittels IKT-Systeme erfolgen.
Soweit die bisherige Rechtsprechung (vgl. BAG 13.12.2005 – 1 ABR 51/04) der Auffassung war, dass ein Arbeitnehmer, um nach § 99 Abs. 1 BetrVG in einem Betrieb eingestellt zu werden, der Personalhoheit des Betriebsinhabers (also dem Weisungsrecht des Betriebsinhabers) unterliegen muss, hält das Landesarbeitsgericht hieran nicht mehr fest. Nach seiner Auffassung ist diese Rechtsprechung nicht mehr zeitgemäß und passt nicht in eine moderne Arbeitswelt mit verzahnten Unternehmens- und Konzernstrukturen. Auf eine Unterscheidung zwischen unternehmensinternen und unternehmensexternen Matrixstrukturen kommt es dem Landesarbeitsgericht zufolge nicht an. Unerheblich ist gleichfalls, ob ein Arbeitsvertrag mit dem Betriebsinhaber besteht.
Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts im Falle von Fr. Dr. A erfüllt. Sie war fachliche Vorgesetzte von fünf Mitarbeitern im Vertriebsteam. Sie nahm regelmäßig an Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgesprächen teil. Sie genehmigte Urlaub und Schulungen. Sie wurde bei personalrelevanten Entscheidungen einbezogen. Ihre Rolle unterschied sich praktisch nicht von der einer Führungskraft im vor Ort im Betrieb.
Fazit/Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist zu begrüßen. Es erkennt zutreffend den Reformbedarf im Betriebsverfassungsrecht in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung. Die klassische Vorstellung, dass die Eingliederung im Sinne des § 99 BetrVG eine Tätigkeit „vor Ort“ oder unter unmittelbarer Weisung der Arbeitgeberin verlangt, ist nicht mehr zeitgemäß. In modernen Unternehmens- und Konzernstrukturen arbeiten Teams dezentral, digital und funktionsbezogen – oft grenzüberschreitend. Deshalb kommt es im Rahmen der Einstellung des § 99 BetrVG nicht auf den Ort der Tätigkeit und die Gesellschaftszugehörigkeit, sondern auf die tatsächliche Einbindung in betriebliche Prozesse an.
Unter dem Strich gilt damit: wer dauerhaft Führungsaufgaben für ein Betriebsteam übernimmt – auch im Homeoffice oder aus dem Ausland – kann betriebsverfassungsrechtlich im Sinne von § 99 BetrVG „eingestellt“ sein. Dann ist der Betriebsrat zu beteiligen.