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Freigestellte Betriebsratsmitglieder sollen durch ihre Tätigkeit für den Betriebsrat finanziell weder besser noch schlechter gestellt werden, als sie sonst bei gewöhnlicher beruflicher Entwicklung stünden. Dieser Vergleich mit der gewöhnlichen beruflichen Entwicklung fällt nicht immer leicht. Wenn Arbeitgeber meinen, dass bisher von einer zu hohen Vergütung ausgegangen worden sei, und sie deshalb die Vergütung reduzieren möchten, tragen sie nach Ansicht des LAG Niedersachsen (27.06.2024 – 5 Sa 672/23) dafür die Darlegungs- und Beweislast.
Ausgangslage: Herabgruppierung des Betriebsratsmitglieds
Die beklagte Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Der klagende Mitarbeiter ist seit 1979 dort beschäftigt. Von 2004 an war er freigestelltes Betriebsratsmitglied. Zunächst erhielt er ein Entgelt der Entgeltstufe 14, ab Mai 2007 wurde er höhergruppiert in die Entgeltstufe 15. Infolge einer weiteren Anpassung der Arbeitgeberin wurde das klagende Betriebsratsmitglied ab Mai 2009 in die Entgeltstufe 16 höhergruppiert.
Ende Januar 2023 teilte die Arbeitgeberin mit, dass sie anlässlich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2023 (6 StR 133/22, dazu s.u.) die Vergütung der (freigestellten) Betriebsratsmitglieder überprüfen wolle; die Vergütung erfolge ab sofort unter dem Vorbehalt einer rückwirkenden Anpassung. Schon ab Februar 2023 erhielt der Mitarbeiter dann nur noch ein Entgelt nach Stufe 14. Die Arbeitgeberin forderte außerdem für den Zeitraum von Oktober 2022 bis einschl. Januar 2023 die aus ihrer Sicht zu viel gezahlte Vergütung zurück, einen Teil dieser streitigen Rückzahlungsansprüche behielt sie anschließend von der Vergütung für Mai 2023 ein.
BR-Mitglied klagt höhere Vergütung ein
Der klagende Mitarbeiter machte die aus seiner Sicht ab Februar 2023 von der Arbeitgeberin zu wenig gezahlte Vergütung geltend und begehrte den von der Mai-Vergütung einbehaltenen Teilbetrag. Ferner klagte er auf Feststellung, dass ihm seit Mai 2009 ein Anspruch auf Vergütung gemäß der Entgeltstufe 16 zustand und weiterhin zusteht.
Bestätigung des Urteils der 1. Instanz
Nachdem bereits das Arbeitsgericht Braunschweig (Az. 1 Ca 146/23) der Klage des Mitarbeiters stattgab, ist dieses Urteil auch in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachen bestätigt worden.
Wie bereits die Kammer in Braunschweig sahen auch die Richter:innen der 5. Kammer des LAG Niedersachsen die Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der bisherigen Entgeltstufe bei der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin konnte im Ergebnis nicht überzeugend begründen, weshalb dem Mitarbeiter als Vergleichsentgelt nach § 37 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nur eine Vergütung nach Entgeltstufe 14 zustehen sollte.
Einschub: Was besagt § 37 Abs. 4 BetrVG?
Eine Freistellung für die Tätigkeit im Betriebsrat hat ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu erfolgen (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Um u.a. langjährige freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht dadurch zu benachteiligen, dass ihnen Beförderungen, höhere Erfahrungsstufen oder ähnliches „entgehen“, wird ihnen das Entgelt zum Zeitpunkt der Freistellung nicht einfach „eingefroren“. Stattdessen ist gem. § 37 Abs. 4 BetrVG auf das Arbeitsentgelt „vergleichbarer Mitarbeiter:innen mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“ abzustellen. Die Gehaltsentwicklung des freigestellten Betriebsratsmitglieds richtet sich also u.a. nach dieser Vergleichsgruppe.
Was hat die Arbeitgeberin vorgetragen?
Die Arbeitgeberin hat versucht, eine solche Gruppe „vergleichbarer Mitarbeiter:innen“ zu bilden. Unter Zugrundelegung dieser Vergleichsgruppe hätte dem Mitarbeiter nach Auffassung der Arbeitgeberin höchstens ein Entgelt der Entgeltstufe 14 zugestanden. Allerdings hatten beide gerichtliche Instanzen entscheidende Kritikpunkte an der Vergleichsgruppenbildung durch die Arbeitgeberin. Diese hatte für den Vergleich auf einen Zeitpunkt im Jahr 2000 bzw. 2002 abgestellt, also vor Aufnahme der Betriebsratstätigkeit. Ferner hatte sie die Vergleichspersonen nicht benannt, sondern lediglich in anonymisierter Form dargestellt. Dabei berief sich die Arbeitgeberin auf Datenschutzgründe.
Erfolg in zwei Instanzen: Mangelhafte Vergleichsgruppenbildung der darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgeberin
Das LAG Niedersachsen schloss sich – auch hinsichtlich der Begründung – der Vorinstanz an. Es ging von den Grundsätzen des Zivilprozesses aus, die auch im Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten anzuwenden sind (s. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG). Demnach müsse diejenige Partei, die sich auf bestimmte ihr günstige Umstände beruft, diese Umstände auch darlegen und beweisen. Hier war es die Arbeitgeberin, die das Betriebsratsmitglied in die Entgeltstufe 14 herabgruppiere. Die Begründung der Arbeitgeberin war für beide gerichtliche Instanzen jedoch nicht nachvollziehbar. Fehlerhaft sei es, für die Vergleichsgruppenbildung auf einen Zeitpunkt vor Amtsübernahme als Betriebsrat abzustellen. Darüber hinaus genüge die Arbeitgeberin mit der abstrakten Darstellung der Vergleichsgruppenbildung ohne Namensnennung nicht ihrer Darlegungslast. Mit dem Verweis auf eine anonymisierte Vergleichsgruppe nehme sie dem klagenden Betriebsratsmitglied jede Chance, sinnvolle Einwände gegen die Vergleichsgruppe und ihre Zusammensetzung vorzutragen. Auch der Datenschutz stehe der prozessualen Obliegenheit, „Ross und Reiter“ zu benennen, nicht entgegen, so das LAG.
Grundsatz der korrigierenden Rückgruppierung ist heranzuziehen
Mit der nachträglichen Herabgruppierung sei nach Auffassung des Gerichts eine Anpassungsentscheidung nach § 37 Abs. 4 BetrVG mitgeteilt worden. Das Gericht zog für diese Situation entsprechend die Grundsätze der sog. korrigierenden Rückgruppierung heran: Diese wurden vom Bundesarbeitsgericht für Fälle entwickelt, in denen regulär arbeitende Mitarbeiter:innen einer niedrigeren Entgeltgruppe als bisher (bei gleichbleibender Tätigkeit) zugeordnet werden sollten. Diese genießen in Bezug auf die bisherige Vergütungshöhe einen begrenzten Vertrauensschutz, aufgrund dessen die Arbeitgeberin die Darlegungs- und Beweislast für die beabsichtigte Veränderung trägt.
Das LAG Niedersachen übertrug diese Argumentation nun auch auf Betriebsratsmitglieder, bei denen keine Tätigkeit überprüft wird, sondern anhand gesetzlicher Kriterien gem. § 37 Abs. 4 BetrVG ein sogenannter fiktiver Werdegang des Betriebsratsmitglieds. Auch hierfür trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Dies begründeten die Richter:innen des LAG Niedersachsen mit dem – das gesamte Rechtssystem durchdringenden – Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der Arbeitgeber habe insoweit Sachnähe und Kompetenz, was wiederum für seine Darlegungs- und Beweislast spreche.
Entscheidung ist zu begrüßen
Das LAG hat, wie bereits das ArbG Braunschweig, in sich schlüssig begründet, weshalb die Arbeitgeberin hier ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht genügt hatte. Die Anwendung der Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung erscheint naheliegend. Das LAG hat sich hier nicht ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt, ob es die mögliche Unwirksamkeit einer vermeintlich überhöhten Vergütungsvereinbarung nicht von Amts wegen hätte prüfen müssen. § 37 Abs. 4 BetrVG verbietet dem Wortlaut nach zwar nur die Abweichung des Entgelts „nach unten“, § 78 S. 2 BetrVG verbietet aber auch die Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben die Gerichte daher von Amts wegen zu prüfen, ob eine Vereinbarung gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG verstößt und deshalb nichtig ist (BAG 08.11.2017 – 5 AZR 613/16). Das Begünstigungsverbot wurde durch das anfangs erwähnte Urteil des BGH (10.01.2023 – 6 StR 133/22) nochmals stärker in den Fokus gerückt.
BGH-Entscheidung zur Betriebsratsvergütung sorgt für Unruhe – auch bei dem Gesetzgeber
Der BGH hatte im Verfahren gegen vier VW-Manager u.a. entschieden, dass sich Personalverantwortliche (in großen Unternehmen) unter Umständen wegen Untreue (§ 266 StGB) strafbar machen können, wenn sie Betriebsratsmitgliedern eine Vergütung gewähren, die höher liegt als die der Vergleichsgruppe nach § 37 Abs. 4 BetrVG und die deshalb gem. § 78 S. 2 BetrVG unzulässig ist. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass sich die jeweiligen Betriebsräte dann auch wegen Beihilfe zur Untreue strafbar machen könnten. Zu einer Verurteilung kam es bisher nur deshalb nicht, weil der konkrete Fall aus Sicht des BGH noch nicht genügend ausermittelt war. Gleichwohl hat die Entscheidung sowohl bei Arbeitgebern wie auch beim Gesetzgeber für Unruhe gesorgt.
Gesetzgeber reagiert
Rund einen Monat nach der hier besprochenen Entscheidung des LAG Niedersachsen trat eine Gesetzesänderung in Kraft, durch die § 78 BetrVG um Satz 3 ergänzt wurde, welcher lautet:
„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“
Der Gesetzgeber bezweckt damit ausweislich der Gesetzesbegründung, das Risiko von Verstößen gegen § 78 S. 2 BetrVG durch redlich handelnde Arbeitgeber und Betriebsratsmitglieder zu verringern. Er ergänzte außerdem § 37 Abs. 4 BetrVG um die Sätze 3-5, um die bisherige, von der Rechtsprechung ausgeformte Rechtslage zur Vergleichsgruppenbildung klarzustellen.
Mehr Rechtssicherheit für Betriebsräte?
Die Arbeitgeberin ist gegen das hier besprochene Urteil in Revision gegangen, diese ist aktuell beim BAG unter dem Aktenzeichen 7 AZR 179/24 anhängig. Die Verhandlung ist für den 19.03.2025 angesetzt. Es bleibt abzuwarten, wie strikt das BAG bei seinem früheren Standpunkt bleibt, dass mögliche Verstöße gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG von Amts wegen zu prüfen sind, wenn schon die vermeintlichen Anhaltspunkte für einen solchen Verstoß nicht in nachprüfbarer Weise vorgetragen werden. Dass in zukünftigen Fällen ein solcher Verstoß festgestellt werden wird, wurde durch die jüngste Gesetzesänderung, insb. die Ergänzung von § 78 S. 3 BetrVG, jedenfalls nicht wahrscheinlicher. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie in diesem Fall – zuvor eine extra für diesen Zweck eingerichtete Kommission für die Höhe der Betriebsratsvergütung zuständig war. Insoweit ist die Gesetzesänderung in § 78 S. 3 BetrVG zu begrüßen.
Wenn Arbeitgeber, ggf. mit dem Verweis auf angebliche Strafbarkeitsrisiken, auf eine Reduzierung der Vergütung für freigestellte Betriebsratsmitglieder drängen, sollten sich letztere daher nicht unter Druck setzen lassen. Sofern arbeitgeberseitig tatsächlich weniger gezahlt oder ggf. sogar eine Rückzahlung gefordert wird, kann es sich lohnen, gerichtlich gegen die Verringerung der Vergütung vorzugehen.
Bedeutung für die Praxis
Die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ist und bleibt trotz Gesetzesänderung ein Streitfaktor. Wichtig ist, dass sich Betriebsräte bereits ab dem ersten Tag ihrer Amtsübernahme um die Festlegung von Vergleichspersonen bemühen und diese beim Arbeitgeber einfordern. Die Pflicht zur Vergleichsgruppenbildung besteht unabhängig von einer etwaigen Freistellung des Betriebsratsmitglieds, sodass auch u.U. für Ersatzmitglieder Vergleichsgruppen gebildet werden müssen. Dabei ist auf insoweit passende Vergleichskriterien zu achten. Hinsichtlich der Vergleichsgröße gilt regelmäßig der Grundsatz „Qualität vor Quantität“. In den Fällen, in denen es keine vergleichbaren Mitarbeiter:innen gibt, bleiben weiterhin große Unsicherheiten.
Mitunter kann es empfehlenswert sein, zu diesem Thema eine Betriebsvereinbarung anzustreben. Es ist zulässig, konkretisierende betriebliche Vereinbarungen zu § 37 Abs. 4 BetrVG zu treffen, wie der Gesetzgeber nunmehr in § 37 Abs. 4 S. 4 BetrVG klarstellt. Diese Chance sollte sowohl von Betriebsräten als auch von Arbeitgebern genutzt werden, um künftigen Unsicherheiten zu begegnen. Für den Arbeitgeber ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Betriebsratsvergütung neben der Transparenz zu diesem heiklen Thema auch deshalb vorteilhaft, weil sich der Prüfungsmaßstab in Bezug auf die Wirksamkeit der Vergütungsentwicklung auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ erhöht.