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Rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrates vor einer Versetzung:
Endlich Klarheit für Betriebsräte?
In der aktuellen und langersehnten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.10.2022 (1 ABR 18/21) streiten die Parteien um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer personellen Einzelmaßnahme. Die Arbeitgeberin versetzte einen Arbeitnehmer, ohne zuvor den Betriebsrat zu beteiligen. Auf Antrag des Betriebsrats gab das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin auf, die Maßnahme aufzuheben. Nachdem die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mitteilte, sie nehme die Versetzung zurück, wurde das Verfahren eingestellt. Zugleich bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur erneuten Versetzung desselben Arbeitnehmers auf dieselbe Stelle und teilte ihm mit, sie werde die Versetzung vorläufig durchführen. Da der Betriebsrat seine Zustimmung verweigerte, leitete die Arbeitgeberin ein Zustimmungsersetzungsverfahren ein.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hingegen hat den Anträgen stattgegeben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgte der Betriebsrat sein Begehren auf Antragsabweisung weiter. Die gute Nachricht für Betriebsräte: Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf und entschied somit zugunsten des Betriebsrates!
„Vor“- Das kleine, aber feine Wörtchen in § 99 Abs. 1 S.1 BetrVG
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hat die Arbeitgeberin bereits kein ordnungsgemäßes Zustimmungsverfahren eingeleitet. Gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG, hat der Arbeitgeber den Betriebsrat stets vor jeder personellen Einzelmaßnahme zu unterrichten und dessen Zustimmung zur geplantenMaßnahme einzuholen. Dieses Erfordernis ergibt sich insbesondere aus der Zweckbestimmung des Mitbestimmungsrechts aus § 99 BetrVG. Der Betriebsrat kann sein Mitbestimmungsrecht nur dann ordnungsgemäß ausüben, wenn seine Beteiligung zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder diese zumindest noch revidiert werden kann. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass der Betriebsrat aufgrund der mitgeteilten Tatsachen überprüfen kann, ob ein Zustimmungsverweigerungsrecht vorliegt. Erst dann beginnt die Wochenfrist aus § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG zu laufen. Demnach sind die Unterrichtung und das Zustimmungsgesuch der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall nicht rechtzeitig erfolgt. Die Arbeitgeberin hatte nämlich schon vor der Beteiligung des Betriebsrats die Versetzung ihres Arbeitnehmers endgültig durchgeführt und ihn seitdem ununterbrochen auf der neuen Stelle beschäftigt.
Wie der Arbeitgeber „Abstand nehmen soll“
Es ist dem Arbeitgeber zwar nicht verwehrt, den Betriebsrat mehrmals hintereinander, um Zustimmung zur selben Personalmaßnahme zu ersuchen. Erforderlich ist dafür allerdings, dass der Arbeitgeber von seiner ursprünglichen Maßnahme Abstand genommen hat. Die bloße Mitteilung der Arbeitgeberin, sie nehme die Versetzung zurück und diese erfolge nur noch vorläufig, genügt dafür jedoch nicht. Die Maßnahme muss vielmehr tatsächlich aufgehoben werden. Dies folgt aus § 101 S. 1 BetrVG, wonach der Betriebsrat die Aufhebung einer personellen Maßnahme verlangen kann, wenn der Arbeitgeber diese ohne Zustimmung vollzieht. Diese Vorschrift soll gewährleisten, dass der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats achtet und die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung einhält. Daher wäre der Zweck dieser Norm verfehlt, wenn der Arbeitgeber den von ihm geschaffenen betriebsverfassungswidrigen Zustand durch bloße, nachträgliche Betriebsratsbeteiligung heilen könnte. Im vorliegenden Fall hätte der Arbeitgeber die Beschäftigung des versetzten Arbeitnehmers, zumindest vorübergehend, bis zur Einleitung eines neuen Beteiligungsverfahrens nach §§ 99 Abs. 1, 100 Abs. 2 BetrVG einstellen müssen.
Ein weiterer Sieg für Betriebsräte!
In einer weiteren Entscheidung vom 11.10.2022 (1 ABR 16/21) befasste sich das BAG mit dem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Im Vordergrund dieser Entscheidung steht § 93 BetrVG. Nach dieser Vorschrift kann der Betriebsrat für Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, zunächst eine innerbetriebliche Ausschreibung verlangen. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, kann der Betriebsrat der darauffolgenden Einstellung das Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG entgegenhalten. Das BAG ließ offen, ob die innerbetriebliche Stellenausschreibung im Zustimmungsersetzungsverfahren nachgeholt werden kann. Die innerbetriebliche Stellenausschreibung habe zumindest zu erfolgen, bevor der Arbeitgeber seine Entscheidung über die Stellenbesetzung trifft. § 93 BetrVG verfolge nämlich den Zweck, im Interesse der Arbeitnehmer durch die Bekanntmachung der freien Stellen den innerbetrieblichen Stellenmarkt zu aktivieren. Die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sollen die Gelegenheit erhalten, sich vorrangig auf diese Stellen zu bewerben. Auch solle für die Belegschaft mehr Transparenz von betrieblichen Vorgängen geschaffen werden. Diese Ziele werden verfehlt, wenn die innerbetriebliche Ausschreibung erfolgt, nachdem der Arbeitgeber eine Entscheidung über die Stellenbesetzung getroffen hat.
Betriebsräte können nun aufatmen
Mit beiden Entscheidungen wurde endlich eine wichtige und praxisrelevante Frage geklärt. Durch die nähere Beleuchtung des Wortes „vor“ in § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG, gibt es für den Arbeitgeber nunmehr klare Vorgaben für die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht. Insbesondere kann er diese nicht durch ein bloßes nachträgliches Zustimmungsersuchen umgehen. Insgesamt wurden mit beiden Entscheidungen die praktische Bedeutung und Zweckbestimmung der Mitbestimmungsrechte aus § 99 BetrVG, auch im Kontext mit innerbetrieblichen Stellenausschreibungen nach § 93 BetrVG, gestärkt.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidungen sind zu begrüßen. Sie stellen klar, was nach dem Gesetzeswortlaut eigentlich selbstverständlich sein sollte: Der Betriebsrat ist gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen, bevor der Arbeitgeber vollendete Tatsachen schafft. Ein nachträgliches Zustimmungsersuchen sieht das Gesetz nicht vor. Auf ein solches muss sich ein Betriebsrat nicht einlassen. Dasselbe gilt für die innerbetriebliche Stellenausschreibung nach § 93 BetrVG. Auch sie hat zeitlich vor der Stellenbesetzung zu erfolgen. Der Arbeitgeber kann die mitbestimmungswidrige Maßnahme nicht nachträglich vom Betriebsrat genehmigen lassen. Stattdessen muss er die Maßnahme in tatsächlicher Hinsicht aufheben, bevor er den Betriebsrat erneut um Zustimmung ersucht. Diese Aufhebung kann der Betriebsrat nach § 101 S. 1 BetrVG sogar gerichtlich einfordern. Lange Diskussionen zu ihrer rechtzeitigen Beteiligung bei personellen Maßnahmen nach § 99 BetrVG müssen Betriebsräte endlich nicht mehr führen.