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Oft schließen Betriebsrat und Unternehmensleitungen Betriebsvereinbarungen, um Bonus-Zahlungen an die Beschäftigten des Unternehmens zu regeln. In einem aktuellen Fall klagte ein Beschäftigter, nachdem Betriebsrat und Unternehmensleitung eine Betriebsvereinbarung über Bonus-Zahlungen überarbeitet hatten. Er sah dadurch seinen individuellen Lohn-Anspruch beeinträchtigt.
Worum geht es?
Der Kläger verlangte von der Beklagten die Auszahlung seiner Bonusvergütung aus dem Jahr 2019/20. Er war bis zum 30. April 2020 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah unter anderem variable Vergütungen in Form von Boni vor, die sowohl von der individuellen Leistung als auch den finanziellen Ergebnissen des Unternehmens abhängig sein sollten. Nach dem Arbeitsvertrag erfolgt die konkrete Ausgestaltung dieser Boni (sog. „Performance Sharing Plan“ bzw. „PSP“ Bonus) in Betriebsvereinbarungen.
Am 29. Mai 2019 trat eine neue Betriebsvereinbarung zum PSP in Kraft, die individuelle Leistungen nicht mehr berücksichtigte und den Bonus ausschließlich an den wirtschaftlichen Erfolg der Firma band. Zugleich sah sie eine Stichtagsregelung vor. Derzufolge sollten Beschäftigte den Bonus anteilig ausgezahlt bekommen, wenn sie während des laufenden Finanzjahres durch arbeitgeberseitige Kündigung aus dem Arbeitsverhältnis schieden. Kündigten sie jedoch vor Ablauf des Finanzjahres (31. Mai) selbst, sah die Stichtagsregelung einen vollständigen Verlust des Bonus vor. Der Kläger sah die neue Betriebsvereinbarung als unwirksam an. Sie verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Ferner stehe dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zu. Sein leistungsbezogener Bonusanspruch sei dadurch unrechtmäßig in einen nicht leistungsbezogenen umgewandelt worden. Auf Grundlage der vorherigen Regelung fordert er einen Bonus von 15 % seines letzten Jahresgehalts, rund 13.000 Euro. Zudem argumentierte er, dass die Stichtagsklausel und der Ausschluss des Bonusanspruchs bei Eigenkündigung unwirksam seien.
Die Beklagte sah die neue Betriebsvereinbarung als wirksam an, sodass der Bonusanspruch nur nach dieser zu beurteilen sei. Sie führte an, dass die Bonusgewährung nunmehr zur Honorierung der Betriebstreue diene und nicht zur Belohnung individueller Leistungen.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab (ArbG Berlin 03.02.2021 – 3 Ca 11315/20), das Landesarbeitsgericht gab ihr jedoch teilweise statt und sprach dem Kläger einen Teil des geforderten Bonus zu (LAG Berlin-Brandenburg 19.07.2022 – 16 Sa 542/21). Beide Parteien nutzten die Möglichkeit zur Revision, wobei der Kläger die vollständige Zahlung forderte, während die Beklagte die Klage vollständig abweisen lassen wollte.
Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sah die Revisionen beider Parteien mit Urteil vom 15.11.2023 (10 AZR 288/22) als unbegründet an und bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, das dem Kläger einen Teil des beanspruchten Bonus, rund 8.500 Euro, zusprach.
Dabei sah das BAG die neue Betriebsvereinbarung zum PSP (BV PSP) als wirksam an. Die neue BV PSP ersetze damit die vorherige Betriebsvereinbarung.
Den Freiwilligkeitsvorbehalt des Arbeitsvertrags hingegen, der Bonuszahlungen vollständig von einer Entscheidung der Beklagten abhängig machte, sah es als unwirksam an, da er den Kläger unangemessen benachteilige und gegen Transparenzpflichten verstoße.
Was sind die Gründe für das Urteil?
Bonus-Anspruch? Ja, aber…
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Kläger gemäß seinem Arbeitsvertrag grundsätzlich einen Anspruch auf eine variable Vergütung in Höhe von 15 % seines Brutto-Basisjahresgehalts habe. Der Vertrag erwähne ausdrücklich einen leistungsabhängigen Zielbonus, dessen genaue Bestimmungen durch die Betriebsvereinbarung festgelegt sind.
Dabei schloss das Gericht aus dem Wortlaut des Arbeitsvertrags („Du erhältst“) und dessen Struktur, dass dem Kläger neben dem Grundgehalt ein vertraglicher Anspruch auf diesen Bonus grundsätzlich zusteht. Eine Klausel, die der Arbeitgeberin ein „freies Ermessen“ bei der Bonusgewährung einräume, sah es als unvereinbar mit dem gesetzlichen Leitbild des § 315 Abs. 1 BGB („billiges Ermessen“) an. Da sie keine vollständige gerichtliche Kontrolle der Leistungsbestimmung ermögliche, stelle sie eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar, die nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Auch ein nochmaliger Freiwilligkeitsvorbehalt im Vertrag (die Bonuszahlung „erfolgt stets freiwillig“) sei unwirksam, da er nicht klar zwischen bereits entstandenen und zukünftigen Ansprüchen unterscheide und somit die Transparenz- und Angemessenheitsanforderungen der §§ 305 ff. BGB nicht erfülle.
…aufgrund der neuen Betriebsvereinbarung!
Auch wenn der Bonusanspruch dem Kläger grundsätzlich zustehe, werde er aber – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht durch die alte Betriebsvereinbarung, sondern durch die neue BV PSP ausgestaltet. Die später eingeführte BV PSP habe die ihr vorhergehende Betriebsvereinbarung wirksam abgelöst. Die Betriebsparteien könnten von ihnen geschlossene Betriebsvereinbarungen jederzeit für die Zukunft abändern. Auch Änderungen zuungunsten der Arbeitnehmer seien möglich, solange sie die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit beachteten.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bejaht
Das Bundesarbeitsgericht erkannte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung an. Arbeitgeber und Betriebsrat hätten innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen von § 77 Abs. 3 und § 75 BetrVG eine umfassende Regelungskompetenz für alle betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates könnte sich schon aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (Fragen der betrieblichen Lohngestaltung) ergeben. Jedenfalls ergebe sich ein solches aus § 88 BetrVG, der einen grundsätzlich unbeschränkten Anwendungsbereich für freiwillige Betriebsvereinbarungen eröffnet. Die BV PSP verstoße auch nicht gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Satz 2 sieht Ausnahmen vor, sofern ein Tarifvertrag diese zulässt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sind von der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG ebenfalls solche Regelungsgegenstände ausgenommen, die der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterfallen. Unterfällt die Bonusregelung hier dem § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, ist die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG schon deshalb nicht einschlägig. Das BAG stellte ferner darauf ab, dass nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für das Unternehmen der Beklagten kein Tarifvertrag Bonuszahlungen regele und Bonuszahlungen auch nicht üblicherweise durch einen Tarifvertrag geregelt würden.
Stichtagsregelung unwirksam
Der Bonusanspruch des Klägers richte sich also nach der BV PSP. Allerdings sei die in ihr enthaltene Stichtagsregelung, die den Bonusanspruch bei Eigenkündigung der Beschäftigten ausschloss, unwirksam, da sie das Kündigungsrecht unangemessen erschwere. Eine Stichtagsregelung beruhe auf dem Interesse der Arbeitgeberin, eine Eigenkündigung zu verhindern oder zumindest zu erschweren, indem sie den Anspruch auf den Bonus davon abhängig macht, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Fiskaljahres fortbesteht. Eine solche Regelung zu treffen, stehe den Betriebsparteien nicht zu. Zwar finde bei Betriebsvereinbarungen keine Kontrolle nach den AGB-Maßstäben der §§ 305 ff. BGB statt. Dennoch seien sie beim Abschluss ihrer Vereinbarungen nach § 75 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BetrVG an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden und damit auch verpflichtet, die grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte zu wahren. Dazu gehöre auch die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, in die eine solche Regelung unangemessen eingreife, da dem Kläger nachträglich Rechtspositionen entzogen würden, die er aufgrund des Arbeitsvertrages und seiner bereits erbrachten Arbeitsleistung erworben habe.
Das BAG folgte auch der Argumentation der Beklagten nicht, die in der Bonuszahlung eine Loyalitätszahlung sehen wollte. Dagegen spreche die Ausgestaltung der Bonuszahlung, die vom Unternehmensergebnis abhänge und auch an während des laufenden Jahres eintretende Beschäftigte anteilig ausgezahlt werde. Daraus werde ersichtlich, dass es sich um eine leistungsabhängige Arbeitsvergütung handle, auch wenn sie nicht vom Erreichen individuell vereinbarter Ziele abhängig sei. Da es sich aber um eine Arbeitsvergütung handle, entziehe eine solche Stichtagsregelung den Beschäftigten schon erarbeitete Lohnansprüche.
Dem Kläger stehe deshalb ein Anspruch auf den Bonus in Höhe von rund 8.500 Euro zu, wie ihn das Landesarbeitsgericht korrekt nach den Vorgaben der BV PSP berechnet habe, basierend auf dem Bruttogrundgehalt des Klägers für das relevante Geschäftsjahr, unter Ausschluss anderer Einkommensteile, die nicht zum Grundgehalt gehörten.
Welche Bedeutung hat die Entscheidung?
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes behandelt sowohl individual- als auch kollektiv-arbeitsrechtliche Fragen. In weiten Teilen, insbesondere hinsichtlich des Freiwilligkeitsvorbehaltes, enthält sie wenig Neues, führt dieses aber mitunter lehrbuchartig aus. Für Betriebsräte rechtlich interessant ist sie vor allem wegen der Passagen, in denen die Stichtagsregelung und das Verhältnis von individual- und kollektivrechtlichen Gesichtspunkten behandelt wird.
Angemessenheit von Bonus-Regelungen
Für Beschäftigte, deren Arbeitsverträge Bonusansprüche beinhalten, sind vor allem die Passagen des Urteils von Interesse, die sich mit der Angemessenheit solcher Regelungen beschäftigen. In einigen Arbeitsverträgen stehen solche Bonuszahlungen unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt, wonach Arbeitgeber:innen nach freiem Ermessen entscheiden können, ob sie ihn tatsächlich auszahlen, ähnlich freiwilligen Sondervergütungen. Bei solchen freiwilligen Sondervergütungen (z.B. Weihnachtsgeld) hat die Rechtsprechung längst herausgearbeitet, dass Beschäftigte einen Anspruch darauf erwerben können, wenn sie (bspw. aufgrund einer betrieblichen Übung) auch zukünftig auf eine Zahlung vertrauen durften und dieses Vertrauen nicht durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt arbeitgeberseitig ausgeschlossen ist. In den letzten Jahren haben Bonuszahlungen und variable Vergütungsbestandteile immer mehr Verbreitung gefunden und sind längst auch Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen, auch des Bundesarbeitsgerichtes. Konsequent und richtig handelt das BAG, wenn es die Ausgestaltung solcher variablen Vergütungsbestandteile in seiner Rechtsprechung weiter konturiert und klarstellt, dass ein genereller Freiwilligkeitsvorbehalt für Bonus-Ansprüche, der eine gerichtliche Kontrolle ausschließt, Beschäftigte unangemessen benachteiligt und unwirksam ist. Das BAG folgt mit dieser Entscheidung konsequent seinen bereits zu Bonus-Zahlungen und Freiwilligkeitsvorbehalt entwickelten Linien und stellt sie in besonders übersichtlicher Weise, fast lehrbuchartig dar. Das Urteil ist deshalb lesenswert für alle, die sich mit der Rechtsprechung des BAG zu diesen Fragen beschäftigten wollen.
Stichtagsregelungen in Betriebsvereinbarungen
Für Betriebsräte von Interesse und juristisch bemerkenswert ist im Weiteren vor allem die Argumentation, mit der das Bundesarbeitsgericht die Stichtagsregelung für unwirksam erklärt. Es stellt dabei nämlich nicht auf eine fehlende Regelungskompetenz der Betriebsparteien ab, sondern sieht die in § 88 BetrVG normierte grundsätzlich weit begründet. Es schränkt den materiellen für die Betriebsparteien zugänglichen Bereich einer Regelung ein, indem es die von ihnen getroffenen Vereinbarung daraufhin überprüft, ob sie unzulässigerweise in geschützte individuelle Rechtspositionen der Beschäftigten eingreift. Vorliegend bejaht es so einen unzulässigen Eingriff und erklärt die in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung getroffene Stichtagsregelung für unwirksam.
Für Betriebsräte hat das Urteil praktische Bedeutung. Betriebsvereinbarungen, die in individuelle Rechtspositionen der Beschäftigten eingreifen, unterfallen nach der Rechtsprechung des BAG einem besonders strengen Maßstab. Soweit sie bereits erworbene Rechtspositionen nachträglich entziehen, liegt ein nicht gerechtfertigter Eingriff in Grundrechte der Beschäftigten nahe, die Betriebsvereinbarungen können also (teilweise) unwirksam sein. Das erfordert einerseits also besondere Vorsicht bei solchen Betriebsvereinbarungen, in denen Regelungen zum Beispiel zu Lohn, Urlaubsansprüchen und dergleichen mehr getroffen werden. Andererseits stärkt diese Rechtsprechung aber auch Betriebsräten den Rücken. Denn sie gibt ihnen klare Argumente an die Hand für Fälle, in denen Unternehmensleitungen über Betriebsvereinbarungen nachträglich in individuell abgeschlossene Arbeitsverträge zum Nachteil der Beschäftigten eingreifen wollen. Sofern dadurch individuell erworbene Rechtspositionen eingeschränkt werden sollen, fehlt schon die Rechtsgrundlage, um eine entsprechende Betriebsvereinbarung abzuschließen. Betriebsräte können den Abschluss einer solchen Vereinbarung also mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ausschließen.