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I. Einleitung
Am 18.06.2021 trat – nach langem Ringen – das sog. „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ in Kraft. Mit diesem Gesetz wurde das BetrVG (und einige begleitende Normen im SGB IV, SprAuG und KSchG) zum ersten Mal seit etwa zwanzig Jahren reformiert. Ist dem Gesetzgeber mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz eine Anpassung an die Anforderungen der modernen Arbeitswelt gelungen oder wurde dieses Ziel verfehlt? In dieser dreiteiligen Beitragsserie werden wir anhand der zentralen Änderungen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes dieser Frage nachgehen.
II. Die Änderungen
1. Virtuelle / Hybride Betriebsratssitzungen gem. §§ 30ff. BetrVG
Eine der zentralen Reformen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ist die Anpassung der §§ 30 ff. BetrVG, wodurch die Durchführung von vollständig virtuellen und hybriden Betriebsratssitzungen – nach Erlass einer entsprechenden Geschäftsordnung (§§ 30 Abs. 2 Nr. 1, 36 BetrVG) – dauerhaft zulässig geworden ist. Dieser Änderung ging die vorübergehende Einführung des § 129 BetrVG – anlässlich der Covid-19-Pandemie – voraus. Durch die Änderung der §§ 30ff. BetrVG hat der Gesetzgeber nun also den pandemiebedingten, betriebsverfassungsrechtlichen Ausnahmezustand zum neuen Normalzustand erklärt.
a. Gefährdung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit
Die virtuelle Betriebsratssitzung stellt jedoch keine gleichwertige Alternative zu einer Präsenzsitzung des Betriebsrats dar. Dies folgt schon aus rechtlichen Erwägungen, da der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit (§ 30 Abs. 1 S. 4 BetrVG) der Sitzung zumindest äußerst schwierig im gleichen Maße gewährleistet werden kann. Die Teilnahme von nicht befugten Personen an der Sitzung kann regelmäßig nicht annähernd mit der gleichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Ebenso wenig kann die – gem. § 30 Abs. 2 S. 2 BetrVG unzulässige – Aufzeichnung von Betriebsratssitzungen gut unterbunden oder kontrolliert werden. In einer virtuellen Sitzung kann eine Aufzeichnung mit wenig Aufwand so erfolgen, dass die anderen Mitglieder des Gremiums diese Aufzeichnung nicht bemerken.
b. Virtuelle / hybride Sitzung kein gleichwertiger Ersatz für die Präsenzsitzung
Gegen die Durchführung der Betriebsratsarbeit per Video- oder Telefonkonferenz spricht auch, dass der in einer Präsenzsitzung stattfindende Austausch in einer Videoschalte nicht reproduziert werden kann. Zu einer – oft kontrovers geführten – Beratung eines Betriebsrats gehört auch, dass die Körpersprache und Mimik der Beteiligten sichtbar sind. Im Rahmen einer Video- oder Telefonkonferenz besteht zudem – besonders in größeren Gremien – die Problematik, dass die Diskussionen erfahrungsgemäß hauptsächlich von wenigen Mitgliedern geführt werden, während ein Großteil der Gewählten lediglich passiv teilnimmt. Oft werden sogar die Kamera und der Ton bei einem wesentlichen Anteil der Mitglieder abgeschaltet.
Mehr als fraglich ist, welcher Mehrwert durch die hier eingeführte „Modernisierung“ des BetrVG geschaffen wurde. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Argumentation, die Durchführung von virtuellen Betriebsratssitzungen sei „zeitgemäß“ und „modern“ lediglich eine Behauptung ist, welche näherer Betrachtung nicht standhält. Zeitgemäß ist nicht jede Verwendung von moderner Technik unabhängig davon, ob sie für den jeweiligen Zweck gewinnbringend ist. Spätestens durch medienwirksame Zwischenfälle (sog. „Candy-Crush-Affäre“) bei der per Videokonferenz durchgeführten Ministerpräsidentenkonferenz dürfte evident sein, dass der durch die Sitzung eines Gremiums verfolgte Zweck der Meinungsbildung und des kontroversen Austauschs eben nicht in gleicher Weise per Videoschalte erreicht wird.
Für die praktische Arbeit bedeutet dies also, dass die Rückkehr zur Präsenzsitzung (selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass dies aus Gesichtspunkten des Gesundheitsschutzes vertretbar bleibt), den Interessen der Betriebsräte in aller Regel entsprechen sollte. Die hybride oder virtuelle Sitzung sollte – auch wenn die Arbeit aus dem Homeoffice komfortabel ist – der absolute Ausnahmefall bleiben. Da eine Geschäftsordnung für die Durchführung einer virtuellen / hybriden Sitzungen erforderlich ist, empfiehlt es sich konkrete Ausnahmefälle in der Geschäftsordnung abschließend zu bestimmen und dabei stets im Blick zu behalten, dass eine Verpflichtung zu einer Durchführung der Sitzung per Video- oder Telefonkonferenz nicht besteht.
2. Mitbestimmung bei mobiler Arbeit gem. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG
Mit der Einführung der Nr. 14 hat der Gesetzgeber die Mitbestimmung des Betriebsrats auf den Themenkomplex mobile Arbeit klargestellt. Gerade vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie haben Formen des mobilen Arbeitens erheblich an Bedeutung gewonnen, dieser Trend wird sich wahrscheinlich fortsetzen und die Betriebsrealität in den nächsten Jahren erheblich beeinflussen. Dementsprechend ist es folgerichtig und begrüßenswert, dass explizit nochmals bestätigt wird, dass der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Regelung von Formen mobiler Arbeit hat.
a. Umsetzung von Formen mobiler Arbeit bereits nach alter Rechtslage mitbestimmungspflichtig
Tatsächlich war schon nach der bisherigen Rechtslage eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats in den zentralen Fragen des mobilen Arbeitens gegeben: Unter anderem Fragen des Umgangs mit Arbeitsmitteln im Home-Office waren als Regelungen bzgl. des Ordnungsverhaltens der Mitarbeiter:innen gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bereits mitbestimmungspflichtig; ebenso die Einführung von IKT-Tools zur Umsetzung des mobilen Arbeitens (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), oder die Wahrung des Gesundheitsschutzes an anderen Orten als dem Büroarbeitsplatz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Eine arbeitgeberseitige Weisung mobil bzw. zu Hause zu arbeiten war auch nach der alten Rechtslage als mitbestimmungspflichtige Versetzung i.S.d. § 99 BetrVG zu verstehen.
b. Unklarheiten bei der Anwendung des neuen Mitbestimmungstatbestands
Gleichwohl erscheint es schlüssig, dass ein eigener Mitbestimmungstatbestand für die Regelung von mobiler Arbeit geschaffen wurde. Bedauerlich ist jedoch, dass es an einer Legaldefinition des Begriffs mobile Arbeit im Gesetz weiter fehlt, auch wenn zumindest die Gesetzesbegründung dazu Ausführungen macht (BT-Drucksache 19/28899, S. 23). Erfasst sein soll die Ausgestaltung des mobilen Arbeitens („Wie“), nicht jedoch eine Mitbestimmung hinsichtlich der Einführung oder Abschaffung („Ob“) von Formen der mobilen Arbeit (BT-Drucksache 19/28899, S. 23). Die Unterscheidung zwischen „Ob“ und „Wie“ ist nur auf den ersten Blick trennscharf.
Lediglich beispielhaft für diese Problematik sei die Frage genannt, ob mit § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Frage der Verteilung von mobilen Arbeitsplätzen gegeben ist. Beabsichtigt der Arbeitgeber also bspw. für die Hälfte der Belegschaft die Möglichkeit des mobilen Arbeitens einzuführen, stellt sich die Frage, ob der Betriebsrat berechtigt ist über diesen Anteil mitzubestimmen und etwa eine mobile Arbeit für weitere Teile der Belegschaft zu fordern. Erstreckt sich das Mitbestimmungsrecht des BR auch darauf mitzubestimmen, welche Mitarbeiter:innen von der mobilen Arbeit erfasst sind?
Aus unserer Sicht dürfte einiges dafürsprechen, dass es sich bei den aufgeworfenen Fragestellungen um eine ausgestaltende und somit mitbestimmungspflichtige Regelung handelt. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Grenzziehung zwischen mitbestimmungsfreiem „Ob“ und mitbestimmungspflichtigem „Wie“ der Einführung mobilen Arbeitens zu erheblichen rechtlichen Diskussionen führen wird.
Grundsätzlich kann auch bezweifelt werden, ob eine Beschränkung des Mitbestimmungsrechts auf die Ausgestaltung mobiler Arbeit („Wie“) überhaupt sinnvoll gewesen ist. So dürfte der Betriebsrat nach der aktuellen Regelung nicht berechtigt sein, initiativ Formen der mobilen Arbeit im Betrieb einzuführen, obwohl dies durchaus im berechtigten Interesse der Belegschaft liegen kann. Die Einführung des Mitbestimmungsrechts bei mobilem Arbeiten erweist sich bei näherer Betrachtung also nur im Ausgangspunkt als stimmig. Gerade die – lediglich angerissenen – Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Umfangs des Mitbestimmungsrechts dürften für einige Zeit zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen.