I. Herausforderung
Seit dem Aufkommen der Corona-Pandemie werden Vorstands- und Teamsitzungen vermehrt als Telefon- und Videokonferenzen durchgeführt. Freilich ist dieser Trend auch bei Betriebsräten und anderen Kollektivgremien angekommen. Insbesondere der im März 2020 geschaffene und auf Juni 2021 befristete § 129 BetrVG beflügelte diese Tendenz. Pandemiebedingt erhielten Gremien von Arbeitnehmer:innen und Einigungsstellen im Ausnahmejahr 2020 die Möglichkeit, Sitzungen auch digital durchzuführen.
Diesen Grundgedanken hat der Gesetzgeber fortgeführt: Mit der Schaffung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes haben Betriebsräte nun endgültig die dauerhafte Möglichkeit, digitale Sitzungen durchzuführen. Zwar mag dies auf den ersten Blick innovativ wirken und eine moderne, zeitgemäße Vertretung von Mitarbeiter:innen versprechen, jedoch sind bei näherer Betrachtung mehrere Problempunkte erkennbar, die offensichtlich gut und gerne ignoriert werden: „Wie ist das Verhältnis von digitalen Sitzungen zur Datenschutzgrundverordnung und wie ist mit Datenschutzverstößen umzugehen? Welche Auswirkung hat das auf die Rechtssicherheit von Betriebsratsbeschlüssen?“
Wenig überraschend ist es deshalb, dass dieses Thema zügig die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung erreicht hat. Das Landesarbeitsgericht Köln musste in einem Beschlussverfahren (LAG Köln 25.06.2021 – Az. 9 TaBV 7/21) über die Wirksamkeit eines digitalen Einigungsstellenbeschlusses entscheiden und kam dabei zu Ergebnissen, die auch Folgen für die Betriebsratsarbeit haben könnten.
II. Inhalt der Entscheidung
In dem zu entscheidenden Fall bestanden zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Aufstellung von Regelungen über Beginn und Ende der Arbeitszeit. Daraufhin wurde die Einigungsstelle angerufen, welche pandemiebedingt als Videokonferenz durchgeführt wurde. Den Einigungsstellenbeschluss sah die Arbeitgeberin jedoch als fehlerhaft an und beantragte die Unwirksamkeit.
Welche Anforderungen sind an den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz zu stellen?
Als Begründung führte die Arbeitgeberin an, dass der Einigungsstellenspruch unter anderem formell fehlerhaft zustande gekommen sei. Denn die verwendete Software „Cisco Webex“ stelle nicht sicher, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Damit sei der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz verletzt, obwohl dies eine wesentliche Voraussetzung von § 129 Abs. 1 BetrVG a.F. darstelle. Darüber hinaus habe die Einigungsstelle ihre Kompetenz überschritten.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Köln wiesen die Anträge der Arbeitgeberin als unbegründet zurück. Die Zulässigkeit für die Durchführung von Einigungsstellenverfahren als Videokonferenz ergebe sich aus § 129 Abs. 1 und 2 BetrVG a.F. Bei der verwendeten Software „Cisco Webex“ handele es sich um ein marktgängiges Konferenzsystem, das durchweg die Möglichkeit einer hinreichend sicheren und verschlüsselten Kommunikation biete. Es sei unerheblich, dass personenbezogene Daten an ein Land außerhalb der Europäischen Union übermittelt werden, da an die notwendige Sicherstellung der Nichtöffentlichkeit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürften. Insbesondere habe die Einigungsstelle durch weitere Vorkehrungen für die Nichtöffentlichkeit gesorgt (wie z.B. eine Belehrung; eine Teilnehmerliste und die vorherige Zustimmung sowie die Zusicherung der Teilnehmer:innen, dass sie alleine im Raum sind). Da der Einigungsstellenbeschluss materiell auch wirksam gewesen sei, sah das Gericht mithin keine durchschlagenden Bedenken.
III. Auswirkungen auf die Betriebsratsarbeit
Derartige Probleme im Hinblick auf das digitale Einigungsstellenverfahren wird es in der Form wohl nicht mehr so schnell geben. Mit Auslaufen des zeitlich befristeten § 129 BetrVG und dem Eintreten des neuen Betriebsrätemodernisierungsgesetzes wurde die Möglichkeit der digitalen Einigungsstellensitzung nicht weiterverfolgt. Doch vollkommen unbeachtlich ist die Entscheidung nicht:
Fraglich ist nämlich, ob die Grundsätze des LAG Köln auch auf digitale Betriebsratssitzungen übertragbar sind. Denn eben jener Nichtöffentlichkeitsgrundsatz ist auch in dem neuen § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BetrVG niedergeschrieben. Normalerweise gilt, dass ein Verstoß gegen den Nichtöffentlichkeitsgrundsatz regelmäßig zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse führt. Bei den §§ 30, 33 BetrVG handelt es sich um wesentliche Verfahrensvorschriften für Betriebsratsbeschlüsse. Wird dieser Grundsatz für digitale Sitzungen nun massiv entwaffnet?
Dürfen Betriebsratsmitglieder bei digitalen Sitzungen auch eine potenziell unsichere Software verwenden?
Die Richter:innen betonten mit Berufung auf eine BAG-Entscheidung (BAG 18.01.1994 – 1 ABR 43/93), dass der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz dem Datenschutz diene und den „elementaren Verfahrensgrundsatz“ der nichtöffentlichen mündlichen Beratung konkretisiere.
Umso erstaunlicher ist es, dass nach Auffassung der 9. Kammer des LAG Köln eine Software verwendet werden darf, die möglicherweise gegen die DSGVO und mithin „gegen den Datenschutz“ verstößt. Zwar wird zumindest klargestellt, dass es sich bei „Cisco Webex“ dem Grunde nach um eine sichere Software handelt, die im Übrigen nicht ohne Grund auch vom Landesbetrieb IT.NRW zur Verfügung gestellt wird. Doch, dass mit dieser Begründung nun über die mögliche DSGVO-Untauglichkeit hinweggesehen werden kann, erscheint doch äußerst wagemutig. So wird beispielsweise gänzlich ignoriert, dass sensible Daten des Betriebsrats in die Hände von Unbefugten gelangen könnten; im Fall von „Cisco Webex“ werden dies wohlmöglich US-amerikanische Behörden sein (Lesen Sie hierzu die zutreffenden Bedenken des LAG Baden-Württemberg, welches unter Umständen sogar die Begründung eines Schadens bejahte).
Nicht gänzlich überzeugen kann im Übrigen das Argument, dass es sich mit der Schaffung des § 129 BetrVG um eine Neuregelung handele, die Rechtssicherheit schaffen wollte. Denn nur weil der Gesetzgeber mit der Corona-Pandemie sichtlich überfordert war, kann dies nicht dazu führen, dass datenschutzrechtliche Grundsätze zwischenzeitlich ignoriert werden dürfen. Tatsächlich räumt aber auch das Gericht ein, dass es sich vorliegend um eine vom Umstand des Einzelfalls geprägte Entscheidung handelt.
Anpacken, statt zusehen!
Ganz gleich, ob man dem Beschluss zustimmt oder nicht: Fakt ist, dass Datenschutz im Betriebsratsbüro nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden darf. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat einmal mehr bewiesen, dass sich das Gremium mit Datenschutz auseinandersetzen muss. Betriebsräten ist zu empfehlen, dieses Thema proaktiv anzugehen und rechtssicher zu gestalten. Sie sollten klare und bestimmte Regelungen zum Umgang mit datenschutzrechtlich relevanten Themen schaffen. Für digitale Beschlüsse schreibt der Gesetzgeber aus guten Gründen bereits die Pflicht einer Geschäftsordnung vor (§ 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BetrVG). Um künftig Probleme wie im Falle des LAG Köln zu vermeiden, sollten Gremien darüber hinaus über datenschutzrechtliche Mindeststandards oder aber über eine eigene Geschäftsordnung nachdenken.