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In der betrieblichen Praxis ist der Wandel des Betriebsbegriffs und die damit einhergehenden Auswirkungen auf den Betriebsrat ein Dauerthema. Der gemeinsame Betrieb mehrerer Unternehmen (kurz: Gemeinschaftsbetrieb) gehört dabei eher noch zum alten Eisen. Schließlich ist der Begriff dem Betriebsverfassungsgesetz bereits seit über 20 Jahren bekannt und in § 1 BetrVG festgeschrieben. Jedoch wirft auch dieser noch eine Vielzahl an ungeklärten Fragen und Konstellationen in der Theorie als auch in der Praxis auf.
I. Der Begriff des Gemeinschaftsbetriebs
Die Betriebsverfassung geht in ihrem Grundmodell von einem Betrieb aus, der von einem Arbeitgeber geführt wird und in dem ein Betriebsrat besteht. Aufgrund der fortschreitenden Veränderungen der Arbeitsstrukturen sah auch der Gesetzgeber Handlungsbedarf und nahm im Rahmen der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 den Begriff des Gemeinschaftsbetriebs in § 1 BetrVG auf. Eine Definition des Gemeinschaftsbetriebs kennt die Betriebsverfassung jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff, der einer eingeschränkten Prüfung durch die Gerichte unterliegt. Einen solchen verwendet der Gesetzgeber, wenn er durch die Norm zunächst einen Anknüpfungspunkt festlegen möchte, von dem ein weitreichender Beurteilungsspielraum ausgeht.[1] Der Gesetzgeber legt sich innerhalb der Vorschrift nicht auf einen einzigen Fall fest, sodass diese mehrere Sachverhalte erfassen kann. Aus § 1 BetrVG folgt danach zunächst nur, dass für den Gemeinschaftsbetrieb ein Betriebsrat gebildet werden kann sowie Vermutungstatbestände, wann ein Gemeinschaftsbetrieb in der Praxis anzunehmen ist.
1. Entwicklung des Begriffs des Gemeinschaftsbetriebs
Der Gemeinschaftsbetrieb war bereits vor der BetrVG-Reform im Jahr 2001 in der Rechtsprechung und Literatur bekannt. Die Rechtsprechung hat Kriterien entwickelt, um das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs bestimmen zu können. Vor dem Inkrafttreten des § 1 BetrVG war nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von einem Gemeinschaftsbetrieb auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt wurden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wurde. Dazu mussten sich die beteiligten Unternehmen zumindest ersichtlich zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung der Unternehmen hatte sich dabei auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten im Sinne des BetrVG zu erstrecken.[2] Durch die Änderung des § 1 BetrVG hat sich an diesen Grundsätzen nichts geändert, vielmehr gelten diese weiter.[3]
2. Hintergrund der Anerkennung des Gemeinschaftsbetriebs
Hintergrund der Aufnahme des Gemeinschaftsbetriebs in die Betriebsverfassung war der Wille des Gesetzgebers zur Schaffung einer praxisgerechten Organisationsgrundlage, die die Entstehung von Betriebsräten auch betriebs- und unternehmensübergreifen erlaubt.[4] Die Entwicklungen der Strukturen von Betrieben und Unternehmen sollten Einzug ins Gesetz finden, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte dort ausüben kann, wo die einheitliche Willensbildung stattfindet und sich effektiv auswirken kann.
Die Entwicklung neuer flexibler Arbeitszeitmodelle, die Einführung von Arbeitszeitkonten sowie Team- und Gruppenarbeiten, das Arbeiten in flachen Hierarchien und der Einsatz von Kreativität sowie mehr Eigeninitiative passten nicht mehr mit der starren Organisationsform des BetrVG zusammen. Insbesondere schlossen sich Unternehmen zusammen, um ihre Produkte und Dienstleistungen gemeinsam zu erzeugen und auf dem Markt zu vertreiben. Danach war der Betriebsbegriff an diese neuen Formen anzupassen, denn wenn dem Betriebsrat sein Verhandlungspartner verloren geht, droht seine Arbeit und damit auch die Mitbestimmungsrechte ins Leere zu laufen.[5]
II. Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebes
Legt man nun die Definition des Gemeinschaftsbetriebs der Rechtsprechung des BAG zugrunde, sind für seinen Bestand die folgenden Voraussetzungen ausschlaggebend:
1. Einheitliche Organisation und Leitung
Die beteiligten Unternehmen müssen den Gemeinschaftsbetrieb einheitlich leiten und organisieren. Wie auch beim Grundmodell des BetrVG, dass ein Unternehmen ein oder mehrere Betriebe hat, ist der Bezugspunkt zur Festlegung einer einheitlichen Leitung, ob die Entscheidungen der mehreren Unternehmen hinsichtlich der personellen und sozialen Angelegenheiten einheitlich getroffen werden.[6] Nicht erforderlich ist dagegen, dass die Entscheidungen im Rahmen der wirtschaftlichen Mitbestimmung gemeinsam durch die Unternehmen ausgeübt werden.[7]
Eine einheitliche Ordnung und Leitung liegt nicht schon bei einer bloßen Zusammenarbeit der Arbeitgeber vor, ohne dass es zu einem unternehmensübergreifenden Personaleinsatz sowie gemeinsamen Entscheidungen im Bereich der sozialen Mitbestimmung kommt. Ein Gemeinschaftsbetrieb liegt demnach auch nicht vor, wenn die Steuerung des Personaleinsatzes und die Nutzung der Betriebsmittel nur durch ein Unternehmen erfolgt, wie es bei der bloßen Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der Leiharbeit der Fall ist.[8] Dagegen ist als bedeutendes Indiz anzunehmen, wenn eine gemeinsame Personalabteilung die Entscheidungen für beide Unternehmen bei den personellen Einzelmaßnahmen, wie bspw. bei der Versetzung, Einstellung oder Kündigung, trifft.[9]
2. Führungsvereinbarung
Eine weitere Voraussetzung des Gemeinschaftsbetriebs ist das Bestehen einer Führungsvereinbarung zwischen den beteiligten Unternehmen.[10] Diese kann auch stillschweigend vereinbart werden, das heißt es bedarf keiner besonderen Form und es ist ausreichend, dass das Vorliegen einer Vereinbarung über die gemeinsame Führung aus den tatsächlichen Umständen geschlossen werden kann.[11] Davon ist auszugehen wenn die Funktionen der Arbeitgeber bei sozialen und personellen Angelegenheiten einheitlich ausgeübt werden.[12]
3. Vermutungstatbestände des § 1 Abs. 2 BetrVG
Besteht zwischen den Betriebsparteien Streit darüber, ob ein Gemeinschaftsbetrieb tatsächlich vorliegt, greifen zur Erleichterung der Nachweisbarkeit für den Betriebsrat die beiden Vermutungstatbestände des § 1 Abs. 2 BetrVG. Denn ein Nachweis über das tatsächliche Vorliegen einer Führungsvereinbarung wird einem Betriebsrat selten in der Praxis gelingen.[13] Danach ist vom Vorliegen einer Führungsvereinbarung auszugehen,
- wenn zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel als auch die Mitarbeiter von den Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden (Nr. 1) oder
- aufgrund einer Spaltung des Unternehmens, von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden, ohne dass sich dabei die Organisation des betroffenen Betriebs wesentlich ändert (Nr. 2).
a. Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen
Wird das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs durch den Arbeitgeber bestritten, ist es gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG ausreichend, wenn der Betriebsrat aufzeigt, dass die Betriebsmittel und die Mitarbeiter der beiden Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden. Bereits dann ist von dem Vorliegen einer Führungsvereinbarung der Unternehmen auszugehen und der Arbeitgeber hat diese Annahme durch geeignete Tatsachen zu widerlegen
Abzustellen ist danach auf die Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen: Die gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln ist anzunehmen, wenn diese an einem Standort gemeinsam untergebracht sind, beispielsweise die Bereitstellung der Maschinen in einer Produktionshalle. Der einheitliche Einsatz der Mitarbeiter ist anzunehmen, wenn diese übergreifend für alle Unternehmen tätig sind.[14] Das kann insbesondere angenommen werden, wenn es gemeinsame Einrichtungen, wie eine einheitliche Buchhaltung, Kantine oder Druckerei gibt.
b. Spaltung eines Unternehmens
Die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG knüpft an den Umstand einer Unternehmensaufspaltung an. Eine solche kann eine Betriebsaufspaltung nach sich ziehen, muss dies aber nicht. Bleibt die betriebliche Einheit erhalten, so wird gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG vermutet, dass der Betrieb von den nunmehr gespaltenen Unternehmen gemeinsam geführt wird, sofern die Spaltung die Organisation des Betriebes nicht wesentlich ändert.[15]
III. Adressat der Beteiligungsrechte
Bei der Ausübung der Mitbestimmungsrechte im Gemeinschaftsbetrieb hat der Betriebsrat darauf zu achten, wer ihm als Adressat gegenübersteht. Zwar betrieben die beteiligten Unternehmen den Gemeinschaftsbetrieb zusammen (Betriebsarbeitgeber), aber in einigen Angelegenheit bleibt der Arbeitgeber allein zuständig, der mit den Mitarbeitern den Arbeitsvertrag abgeschlossen hat (Vertragsarbeitgeber).
1. Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten
Innerhalb der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen gemäß § 99 BetrVG ist danach zu differenzieren, ob es um eine Ein- und Umgruppierung oder, um eine Versetzung bzw. Einstellung geht.[16] Bei der Ein- und Umgruppierung ist Adressat des Mitbestimmungsrechts der Vertragsarbeitgeber. Dagegen kann sich der Betriebsrat bei Einstellungen und Versetzungen an die Betriebsarbeitgeber wenden. Diese können bei einer Geltendmachung von Verweigerungsgründen durch den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 2 BetrVG das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einleiten und einen Antrag beim Arbeitsgericht stellen.[17]
2. Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten
Bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG gibt es ebenfalls keinen einheitlichen Adressaten bei der Ausübung der Mitbestimmungsrechte. In diesem Bereich gibt es bisher nur wenig Rechtsprechung, die klare Feststellungen hinsichtlich des richtigen Adressaten treffen. In den Fällen des § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 6, Nr. 7 und Nr. 8 BetrVG dürfte sich der Betriebsrat an die Betriebsarbeitgeber zu wenden haben.[18] Dagegen wird bei Entgeltthemen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG angenommen, dass sich der Betriebsrat an den jeweiligen Vertragsarbeitgeber halten soll. Da die Verantwortung bei den einzelnen Vertragsarbeitgeber liegt, kann es in einem Gemeinschaftsbetrieb unterschiedliche Vergütungsordnungen geben.[19]
3. Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten
Maßnahmen nach den §§ 111 ff. BetrVG, das heißt bei Betriebsänderungen wie die Zusammenlegung von Betrieben oder die Spaltung eines Betriebs, sind im Gemeinschaftsbetrieb grundsätzlich mit allen Betriebsarbeitgeber zu verhandeln.[20] Denn diese haben auch gemeinsam für einen für den Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG gegenüber den Mitarbeitern aufzukommen. Dagegen ist der Sozialplan mit dem jeweiligen Vertragsarbeitgeber abzuschließen, da dieser der Verantwortliche für die Sozialansprüche der Mitarbeiter ist.
III. Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs
Nachdem die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs aufgezeigt wurden, soll sich nun mit der Frage beschäftigt werden, wie diese Betriebsstruktur durch die beteiligten Unternehmen wieder aufgelöst werden kann und welche Konsequenzen daraus für den Betriebsrat entstehen.
Der gemeinsame Betrieb hört auf zu bestehen, wenn die Unternehmen ihre gemeinsame Führungsvereinbarung aufheben und eines der Unternehmen seine betriebliche Tätigkeit einstellt.[21] Ändert sich nichts an der Identität des von einem Arbeitgeber geführten Betriebs bleibt für diesen der gewählte Betriebsrat unverändert im Amt.[22] Etwas anderes gilt, wenn sich die Belegschaft wesentlich verkleinert oder durch die Auflösung die Anzahl der Betriebsratsmitglieder absinkt. In diesen Fällen ist nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BetrVG eine vorzeitige Betriebsratswahl durchzuführen, die die neuen Gegebenheiten im Betrieb berücksichtigt. Bis der neue Betriebsrat im Amt ist, führt das bisherige Gremien die Geschäfte weiter. Die bloße Änderung des Betriebszwecks eines der beteiligten Unternehmen führt nicht automatisch zur Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs.[23]
[1] Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021, H. Prinzipien zur Ausfüllung der Kündigungsgründe, Rn. 8.
[2] BAG 11.2.2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618.
[3] BAG 22.6.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248.
[4] BT- Drucks. 14/5741 S. 2 und 23.
[5] BT- Drucks. 14/5741 S. 23.
[6] BAG 11.2.2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618.
[7] BAG 29.1.1987 – 6 ABR 23/85, NZA 1987, 707.
[8] BAG 22.6.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248.
[9] BAG 11.2.2004 – 7 ABR 27/03, NZA 2004, 618.
[10] BAG 9.2.2000 – 7 ABR 21/98, BeckRS 2000, 30783023.
[11] BAG 18.1.1990 – 2 AZR 355/89, NZA 1990, 977.
[12] BAG 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321.
[13] BT- Drucks. 14/5741 S. 33.
[14] BAG 22.6.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248.
[15] Fitting BetrVG § 1, Rn. 133.
[16] BAG 23.9.2003 – 1 ABR 35/02, NZA 2004, 800.
[17] Fitting BetrVG § 1, Rn. 147.
[18] Fitting BetrVG § 1, Rn. 149.
[19] BAG 12.12.2006 – 1 ABR 38/05, NZA 2007, 712.
[20] BAG 12.11.2002– 1 AZR 632/01, NZA 2003, 676.
[21] Fitting BetrVG § 1 Rn. 136.
[22] BAG 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, NZA 2004, 435.
[23] BAG 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, BeckRS 2008, 51914.