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Die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs kann sich erheblich auf die betrieblichen Strukturen auswirken, sodass sich Betriebsräte mit verschiedenen betriebsverfassungsrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzen müssen: Worauf ist bei der Betriebsratswahl zu achten? Wie bestimmt sich fortan die Größe des Betriebs? Welche Mitarbeiter sind bei der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen zu berücksichtigen? Diese und weitere Aspekte zum Gemeinschaftsbetrieb werden in diesem Beitrag aufgezeigt und erläutert.
I. Ausgangsfall
Damit ein direkter Praxisbezug hergestellt werden kann, werden die einzelnen Aspekte und Probleme anhand des folgenden Ausgangsfalls erläutert:
Das Unternehmen, das in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführt wird (im Folgenden: GmbH), hat einen Betrieb in Köln und in Hamburg. In Köln beschäftigt es insgesamt 300 wahlberechtigte Mitarbeiter. Der Betriebsrat an diesem Standort besteht aus 9 Mitgliedern und ist seit 27 Monaten im Amt. Die GmbH schließt mit einem weiteren Unternehmen – einer Aktiengesellschaft (im Folgenden: AG) -, bei der kein Betriebsrat besteht, eine Vereinbarung über die Führung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG für ihren Standort in Köln ab. Die 200 wahlberechtigten Mitarbeiter der AG arbeiten von nun an mit der Belegschaft der GmbH in Köln zusammen und benutzen dabei die Betriebsmittel der GmbH gemeinsam. Zudem ist die Personalabteilung ab Begründung des Gemeinschaftsbetriebs für die gesamte Belegschaft zuständig und besteht aus Mitarbeitern der GmbH und der AG.
II. Durchführung von Betriebsratswahlen im Gemeinschaftsbetrieb
1. Durchführung der Betriebsratswahl
Liegt ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vor, stellt sich im Rahmen von Betriebsratswahlen die Frage, auf welche Betriebsgröße abzustellen ist und, ob der neue Betriebsrat die Mitarbeiter des gesamten Gemeinschaftsbetriebs vertritt.
Der Gemeinschaftsbetrieb ist nach der Betriebsverfassung als ein Betrieb anzusehen. Daher ist diesen auch nur ein Betriebsrat zu wählen, der die gesamte Belegschaft vertritt. Seine Größe richtet sich demnach auch nach der Gesamtzahl der bei den beteiligten Unternehmen in der Regel insgesamt wahlberechtigten Beschäftigten.[1]
In Ausgangsfall ist bei der Betriebsratswahl ein Gremium zu wählen, dass nicht mehr aus neun Mitgliedern, sondern aus elf Betriebsräten besteht (§ 9 BetrVG). Durch die Gründung des Gemeinschaftsbetriebs ist die Belegschaft auf 500 wahlberechtigte Mitarbeiter gestiegen, sodass diese Größe bei der Bestimmung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder zugrunde zulegen ist.
Praxistipp
Kommt es zu einer Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs, sollte das Gremium prüfen, ob eine außerreguläre Wahl aufgrund des Anstiegs der Beschäftigten im Gemeinschaftsbetrieb erforderlich ist. Grundsätzlich findet die Betriebsratswahl alle vier Jahre in der Zeit vom 01.03. bis 31.05. statt. In § 13 Abs. 2 BetrVG nennt das Gesetz jedoch Ausnahmen, in denen die Betriebsratswahl schon vor Ablauf der vier Jahre durchzuführen ist. Unter § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wird geregelt, dass nach zwei Jahren ab dem Tag der Wahl eine Neuwahl durchzuführen ist, wenn die Zahl der regelmäßig Beschäftigten um die Hälfte, mindestens um 50, gestiegen oder gesunken ist. So kann gewährleistet werden, dass die Größe des Betriebsrats an die Belegschaftsstärke angepasst ist.[2]
Im Ausgangsfall liegt demnach eine wesentliche Änderung der Belegschaftsstärke vor, sodass eine vorzeitige Betriebsratswahl durchzuführen ist. Der Betriebsrat ist seit 27 Monaten und damit bereits seit über zwei Jahren im Amt. Zudem liegt auch die zweite Voraussetzung vor, da die Anzahl der regelmäßig beschäftigten Mitarbeiter um über die Hälfte und auch um über 50 Beschäftigte angestiegen ist.
2. Adressat bei Fragen zur Betriebsratswahl
Bei der Durchführung der Betriebsratswahl der besteht zudem die Frage, wer der Ansprechpartner des Wahlvorstandes ist. Hinsichtlich der erforderlichen Informationen zur Anfertigung der Wählerliste sind alle beteiligten Unternehmen (Betriebsarbeitgeber) verpflichtet, diese dem Wahlvorstand zur Verfügung zu stellen.[3] Ansprechpartner des Wahlvorstands wird wie üblich die Personalabteilung des Gemeinschaftstriebs sein.
So verhält es sich auch in unserem Ausgangsfall: Die Personalabteilung betreut alle Mitarbeiter des Gemeinschaftsbetriebs gemeinsam. Sie vertritt dabei die Betriebsarbeitgeber, also die GmbH und die AG. Der Wahlvorstand kann sich somit an diese mit seinem Informationsbegehren wenden und die Daten zu den Mitarbeitern abfragen.
III. Bestimmung der Betriebsgröße und der Schwellenwerte
1. Die Betriebsgröße
Das Betriebsverfassungsgesetz stellt an einigen Stellen auf die Betriebsgröße ab, sodass von dieser, neben der Anzahl der Betriebsratsmitglieder gem. § 9 BetrVG, beispielsweise auch die Übertragung von Aufgaben auf Arbeitsgruppen (§ 28a BetrVG) abhängt.
Hinsichtlich der Größe des Betriebs ist grundsätzlich auf die Gesamtzahl, der bei den mehreren Unternehmen in der Regel beschäftigten, wahlberechtigten Mitarbeitern abzustellen. Dies gilt beispielsweise für die Möglichkeit der Übertragung von Aufgaben auf Arbeitsgruppen gemäß § 28a BetrVG („mehr als 100 Arbeitnehmer“) oder bei der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen Tätigkeit nach § 38 BetrVG.
Im Ausgangsfall liegt die Betriebsgröße des Gemeinschaftsbetrieb bei 500 wahlberechtigten Mitarbeiter. Damit kann das Gremium 2 seiner Mitglieder freistellen und auch Aufgaben auf Arbeitsgruppen übertragen, was beispielweise bei kurzfristigen Projekten das Gremium entlastet und eine schneller Reaktionsmöglichkeit gegenüber der Arbeitgeberseite ermöglicht.
2. Der Schwellenwert
Teilweise setzt das Gesetzt für seine Anwendung einen Bestimmten Schwellenwert an wahlberechtigten Mitarbeitern voraus. Z.B. kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 Abs. 1 BetrVG nur ausgeübt werden, wenn mindestens 20 wahlberechtigte Mitarbeiter im Betrieb beschäftigt sind. Beim Gemeinschaftsbetrieb ist danach fraglich, ob auf die Mitarbeiterzahl des einzelnen Unternehmens oder auf die gesamte Belegschaft des Gemeinschaftsbetriebs abzustellen ist.
Bei den Schwellenwerten des BetrVG wird wie folgt zu unterschieden:
a. Personelle Einzelmaßnahmen
Bei den personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG ist nach dem Gegenstand der Mitbestimmung zu trennen: Liegt eine Ein- und Umgruppierung vor, ist auf die Anzahl der beim Vertragsarbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen, das heißt die Mitarbeiter, die von im Gemeinschaftsbetrieb für das jeweilige Unternehmen tätig werden. Dagegen kommt es bei der Einstellung und Versetzung nur darauf an, dass zumindest in einem der beteiligten Unternehmen mehr als 20 wahlberechtigte Mitarbeiter beschäftigt sind. Arbeiten in keinem der beteiligten Unternehmen mehr als 20 Mitarbeiter wird auf die Gesamtzahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Mitarbeiter abgestellt und die Regelung des § 99 BetrVG entsprechend angewendet, sodass der Betriebsrat ebenfalls anzuhören ist und seine Mitbestimmung ausüben kann.[4]
Nach der Konstellation des Ausgangsfalls ist der Betriebsrat bei allen personellen Maßnahmen, also bei der Einstellung, Versetzung, Ein- sowie Umgruppierung durch den Arbeitgeber vorab anzuhören, da bei der GmbH als auch bei der AG jeweils mehr als 20 wahlberechtigte Mitarbeiter beschäftigt sind.
b. Bildung des Wirtschaftsausschusses
Ein Wirtschaftsausschuss ist für alle Unternehmen mit mehr als 100 ständig beschäftigten Mitarbeitern zu bilden. Für diesen Schwellenwert ist auf alle im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Mitarbeiter abzustellen.[5] Im Ausgangsfall ist danach ein Wirtschaftsausschuss für den Gemeinschaftsbetrieb zu bilden, da dieser eine Belegschaftsstärke von 500 Beschäftigten aufweist.
c. Schwellenwerte bei der Betriebsänderung
Kommt es zu einer Betriebsänderung nach §§ 111 ff. BetrVG wird hinsichtlich des Schwellenwertes zwischen dem Gegenstand der Beteiligungsrechte – Unterrichtungs- Beratungs- oder Mitbestimmungsrecht – unterschieden. Bei den Unterrichtungs- und Beratungsrechten und der Verpflichtung zum Abschluss eines Interessenausgleiches (§ 111 BetrVG: „Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern“) wird auf alle im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Mitarbeiter abgestellt. Bei der Verpflichtung des Arbeitgebers einen Sozialplan nach § 112a BetrVG abzuschließen ist dagegen auf die Anzahl der beim Vertragsarbeitgeber beschäftigen Mitarbeiter abzustellen.[6]
Wird für den Gemeinschaftsbetrieb des Ausgangsfalls eine Betriebsänderung, beispielsweise eine Stilllegung eines Betriebsteils vorgesehen, ist der Schwellenwert von zwanzig ständig wahlberechtigten Mitarbeitern erreicht, da insgesamt 500 Arbeitnehmer von den beteiligten Unternehmen beschäftigt werden. Werden durch die Betriebsstilllegung Mitarbeiter betriebsbedingt entlassen, ohne dass weitere Maßnahmen getroffen werden, so ist zwingend ein Sozialplan zu verhandeln (§§ 112a, 112 BetrVG).
IV. Kosten
Haben die beteiligten Unternehmen keine eindeutige Regelung über die Kosten der Betriebsratsarbeit im Gemeinschaftsbetrieb getroffen, ist danach zu differenzieren, ob es sich um Kosten des einzelnen Mitglieds oder des gemeinsamen Gremiums handelt. Erstere umfassen beispielweise die Kosten eines Seminarbesuchs oder der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds und sind von dem Arbeitgeber zu tragen, bei dem das Mitglied nach seinem Arbeitsvertrag angestellt ist (Vertragsarbeitgeber). Dagegen handelt es sich bei allgemeinen Kosten, wie z.B. für Sachverstände oder Büropersonal, um solche des Betriebsrats, die von den Betriebsarbeitgebern gemeinsam zu tragen sind.[7]
Möchte im Ausgangsfall ein Betriebsratsmitglied, das bei der GmbH angestellt ist, an der Schulung „Grundlagen des Betriebsverfassungsrechts“ teilnehmen, ist die Kostenübernahme gegenüber der GmbH geltend zu machen. Wird ein Mitglied des Betriebsrats, das bei der AG beschäftigt ist, freigestellt, hat die AG diese Kosten zu übernehmen. Nimmt der Betriebsrat bei der Beratung einer Betriebsvereinbarung juristischen Sachverstand in Anspruch, haben die AG und die GmbH dagegen die Kosten gemeinsam zu tragen.
V. Betriebsbedingte Kündigung und Sozialauswahl
Im Fall einer betriebsbedingten Kündigung stellt sich die Frage, ob sich die zu treffende Sozialauswahl nur auf die Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens oder auf die Belegschaft des gesamten Gemeinschaftsbetriebs erstreckt. Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Mitarbeiters soziale Gesichtspunkt als Entscheidungskriterium heranziehen. Zu diesen gehören nach § 1 Abs. 3 die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine ggf. vorliegenden Schwerbehinderung.
Im Gemeinschaftsbetrieb ist dabei auf die gesamte Belegschaft abzustellen.[8] Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gemeinschaftsbetrieb beim Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber nicht mehr besteht.[9]
Im Ausgangsfall hat der jeweilige Vertragsarbeitgeber, also die AG oder die GmbH, bei der Soziwalauswahl im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen nicht nur die bei ihm angestellten Mitarbeiter zu berücksichtigen. Vielmehr sind alle Beschäftigten des Gemeinschaftsbetriebs einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind, d.h. diejenigen die sich in Krankheitsfällen oder während eines Urlaubs gegenseitig vertreten können.
Wird nach Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs ein Mitarbeiter beispielsweise durch die AG betriebsbedingt gekündigt, so sind bei der Sozialauswahl nur die bei dieser beschäftigten und vergleichbaren Mitarbeiter einzubeziehen.
VI. Unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat?
1. Konstituierung eines Gesamtbetriebsrats
Der Betriebsrat entsendet Vertreter in den Gesamtbetriebsrat eines jeden am Gemeinschaftstrieb beteiligten Unternehmen.[10] Dagegen darf ein gemeinsamer Gesamtbetriebsrat mehrerer Unternehmen nicht gebildet werden, da die Betriebsverfassung in § 47 Abs. 1 BetrVG vorsieht, dass ein Gesamtbetriebsrat nur für ein Unternehmen konstituiert werden kann.[11]
Gehen wir im Ausgangsfall nun davon aus, dass am Standort der GmbH in Hamburg ebenfalls ein Betriebsrat gebildet wurde, ist für die GmbH ein Gesamtbetriebsrat zu bilden. Dieser ist jedoch ausschließlich für die GmbH zuständig und darf keine mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen für die AG treffen. Würde er für beide am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen tätig werden, ist dadurch ein Verstoß gegen § 47 Abs. 1 BetrVG begründet. Denn ein Gesamtbetriebsrat darf danach nur für ein Unternehmen gebildet werden. Hier wäre dann ein Gesamtbetriebsrat für die GmbH und die AG erforderlich, wenn die Voraussetzungen für diesen vorliegen. Dies ist jedoch nur bei der GmbH der Fall.
2. Entsendung von Mitgliedern in den Gemeinschaftsbetrieb
Nun schließt sich die Frage an, ob in den Gesamtbetriebsrat eines Unternehmens des Gemeinschaftsbetriebs nur Betriebsratsmitglieder entsendet werden dürfen, die auch bei diesem Unternehmen angestellt sind. Die Rechtsprechung geht beide dieser Konstellation davon aus, dass auch unternehmensfremde Mitglieder Teil des Gesamtbetriebsrat sein können. Denn die Mitglieder des Betriebsrats repräsentieren den Gemeinschaftsbetrieb und damit alle an diesem beteiligten Unternehmen.[12]
Bei der Konstituierung des Gesamtbetriebsrats der GmbH im obigen Beispiel können danach auch Betriebsratsmitglieder entsendet werden, die bei der AG beschäftigt und damit unternehmensfremd sind. Sie repräsentieren den Gemeinschaftsbetrieb und nicht das jeweilige Unternehmen. Zudem würde sonst auch die Gefahr bestehen, dass der Betriebsrat keine Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsenden könnte, wenn er allein aus Mitarbeitern der AG bestehen würde.
[1] Fitting BetrVG § 1 Rn. 137 f., Däubler / Klebe / Wedde BetrVG § 1 Rn. 172.
[2] Fitting BetrVG § 13 Rn. 21.
[3] LAG Düsseldorf 7.5.1986 – 15 Ta BV 12/86, BB 86, 1851.
[4] BAG 29.9.2004 – 1 ABR 39/03, NZA 2005, 420.
[5] BAG 1.8.1990 – 7 ABR 91/88, NZA 1991, 643; 22.3.2016 – 1 ABR 10/14 – NZA 2016, 969.
[6] Fitting BetrVG § 1 Rn. 145.
[7] Däubler / Klebe / Wedde BetrVG § 1 Rn. 192.
[8] BAG 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, BeckRS 2008, 51914.
[9] BAG 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, NZA 2004, 477.
[10] Däubler / Klebe / Wedde BetrVG § 1, Rn. 172.
[11] BAG 13.2.2007 – 1 AZR 184/06; Däubler / Klebe / Wedde BetrVG § 1, Rn. 181.
[12] LAG Hessen 11.12.2017 – 16 TaBV 95/17; BeckRS 2017, 146812.