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Die Monate vor und nach den Betriebsratswahlen stehen regelmäßig im Zeichen der Wahlvor- und Nachbereitung. Neben den organisatorischen Verpflichtungen einerseits und dem Wahlkampf andererseits ist das Gremium bis zu seinem letzten Amtstag jedoch auch mit dem „Tagesgeschäft“ und damit unter anderem mit gerichtlichen Auseinandersetzungen betraut.
Zu Recht stellt sich dem Betriebsrat die Frage, was mit gerichtlichen Verfahren nach den Neuwahlen geschieht: Kann der neu gewählte Betriebsrat diese weiterführen oder entfällt mit der Neuwahl seine Beteiligtenfähigkeit und damit auch die Zulässigkeit der eingelegten Rechtsmittel?
Der nachfolgende Beitrag beleuchtet die aufgeworfenen Fragen und setzt sich mit der Konstruktion einer Funktionsnachfolge auseinander.
I. Der Betriebsrat – keine „Dauereinrichtung“
Anders als beim Gesamt- oder Konzernbetriebsrat handelt es sich bei dem örtlichen Gremium gerade nicht um eine Dauereinrichtung (BAG 18.05.2016 – 7 ABR 81/13). Dies bedeutet, dass das Gremium mit dem Ende seiner vierjährigen Amtszeit nach § 21 BetrVG als Rechtssubjekt grundsätzlich erlischt (BAG 19.12.2018 – 7 ABR 79/16).
Dies hat zur Folge, dass der neu gewählte Betriebsrat sämtliche Rechte und Pflichten vollumfänglich übernimmt und nun nach seinem (kollektiven) Ermessen – ohne Bindung an die Absichten des alten Gremiums – wahrnehmen kann.
II. „Altes“ und „neues“ Gremium – zwei Fremde?
Bedeutet dies, dass die Gremien völlig beziehungslos zueinanderstehen? Diese Annahme könnte gewichtige Folgen haben: Nicht nur könnte die Fortgeltung abgeschlossener Vereinbarungen infrage stehen, ferner wären auch, wie eingangs erwähnt, die laufenden Beschlussverfahren (die das vorherige Gremium unter Umständen viel Aufwand gekostet haben) in ihrer Zulässigkeit gefährdet.
Das Bundesarbeitsgericht beurteilt zunächst die Geltung der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungenals unabhängig von der Existenz eines Betriebsrats (BAG 28.7.1981 – 1 ABR 79/79; für Gesamtbetriebsvereinbarungen BAG 18.09.2021 – 1 ABR 54/01). Auch wenn dies keine ausdrückliche Stütze im Betriebsverfassungsgesetz findet, binden die abgeschlossenen Vereinbarungen also auch nachfolgende Gremien – bis sie gekündigt, oder aus sonstigen Gründen beendet werden.
Doch wie steht es um die Nachfolge in bereits laufenden Beschlussverfahren?
III. Die Funktionsnachfolge: Schutz der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretung
Nach einer Anfechtung der Betriebsratswahl; einem Übergang von gesetzlichen zu gewillkürten Betriebsverfassungsstrukturen; einer Einführung oder Änderung des Tarifvertrages gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 3 BetrVG oder auch bei Neuwahlen tritt das neue Gremium nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Funktionsnachfolge des alten Betriebsrats an.
Was genau ist unter einer solchen Nachfolge zu verstehen?
Grundsätzlich bedeutet eine Funktionsrechtsnachfolge jedes unmittelbare Anknüpfen an das Mandat des vorherigen Betriebsrats (Boemke/Deyda ZfA 2020, 320 (323)).
In seiner Entscheidung vom 19.12.2018 (7 ABR 9/16) hat das Bundesarbeitsgericht unter Anwendung dieses Prinzips sowie des Grundgedankens der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen den neu gewählten Betriebsrat als Funktionsnachfolger seines Vorgängers gesehen. Der Siebte Senat bestätigte, dass der neue Betriebsrat als Funktionsnachfolger auch die Beteiligtenstellung des vorherigen Gremiums in einem arbeitsrechtlichen Beschlussverfahren einnimmt.
IV. Einschränkung der Nachfolge bei zeitlicher Unterbrechung
Gleichwohl nahmen die Richter die Nachfolge nicht einschränkungslos an:
Die Funktionsnachfolge könne nämlich nur in dem Fall bestehen, bei dem ein neuer Betriebsrat tatsächlich gewählt worden ist. Findet nach dem Ende der Amtszeit des Betriebsrats keine Neuwahl statt, kann bereits denklogisch kein Gremium die Funktionsnachfolge übernehmen. Da in diesem Fall kein Betriebsrat und demzufolge auch keine Rechtspositionen mehr betroffen sind, werden eingelegte Rechtsmittel unzulässig.
Ob dies auch gelten muss, wenn ein Betriebsrat nicht unmittelbar nach der Amtszeit seines Vorgängers gewählt wird, ließen die Richter offen.
Die wichtigste Ausnahme hiervon besteht regelmäßig, wenn die Geltendmachung oder Abtretung der noch nicht erfüllten Ansprüche auf Freistellung von Kosten erforderlicher Betriebsratstätigkeit, die während seiner Amtszeit entstanden sind, notwendig werden. Diese Ansprüche gelten für die Gremien in entsprechender Anwendung des § 22 BetrVG und § 49 Abs. 2 BGB auch nach ihrer Amtszeit als fortbestehend (BAG 24.10.2001 – 7 ABR 20/00).
V. Die Kontinuität wird gewahrt
Der Betriebsrat muss mithin nicht befürchten, dass die Mühen, die in ein Beschlussverfahren gesteckt werden, mit dem Ende seiner Amtszeit verloren gehen: Die Funktionsnachfolge stellt sicher, dass das neue Gremium die Verfahren weiterführen kann. Eine umfassende Übergabe und Zusammenarbeit im Interesse der Mitbestimmung kann diese zum Erfolg führen.