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Die Grundlage der wohl kleinsten großen Koalition steht – der Koalitionsvertrag. Kritik kam u.a. von den Jusos. Es lohnt sich also einen Blick auf einige arbeitsrechtliche Aspekte des Koalitionsvertrages zu werfen.
Von der Präambel ausgehend beabsichtigen die Koalitionäre, die strukturellen Rahmenbedingungen für Unternehmen und Beschäftigte zu verbessern. Der soziale Zusammenhalt solle gestärkt werden, wozu mehr Mitbestimmung und gute Löhne gehören. Die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern sei zentrales Anliegen der gesamten (künftigen) Regierungsarbeit.
Um den in der Präambel dargestellten Interessen gerecht zu werden, wolle man die Prävention von psychischen Erkrankungen stärken. Alle hierzu nötigen Instrumente des Arbeitsschutzes sollten dazu auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Ein zu begrüßender Punkt. Schließlich befindet sich die deutsche Wirtschaft längst in der digitalen Transformation, die häufig wie folgt abläuft: Personal wird abgebaut, das Arbeitsvolumen geht aber nicht im gleichen Verhältnis runter. Die Idee: Mitarbeitende können mittels digitaler Lösungen mehr Arbeitsvolumen abarbeiten, was leider häufig nicht funktioniert. Es kommt zur Überlastung der Mitarbeitenden. Betriebsräte versuchen hier über § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG via Gefährdungsbeurteilungen und Überlastungsanzeigen korrigierend einzugreifen. Es bleibt also abzuwarten, wie die seitens der Koalitionäre beabsichtigte Prüfung der nötigen Instrumente des Arbeitsschutzes ausgeht. Als Betriebsrat kann man nur hoffen, dass die Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG weiter gestärkt wird. Es also zum beabsichtigten Mehr an Mitbestimmung und damit zu mehr Arbeits- und Gesundheitsschutz kommt.
Im Zusammenhang mit dem Thema Gesundheitsschutz sind die Passagen zum Thema Arbeitszeit besonders interessant. Es solle die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden. Ferner werde die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung unbürokratisch geregelt. Die Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung solle im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie hingegen möglich bleiben. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie das in Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie zu bringen ist und der angesprochene Gesundheitsschutz verbessert werden soll. Insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts[1], nach der ein System einzuführen ist, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst werden. Dies folgt direkt aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Die Arbeitszeiterfassung ist also Teil des Gesundheitsschutzes bzw. Arbeitsschutzes, für dessen hohen Standard die Koalitionäre einstehen wollen. Gerade die Erfassung der Arbeitszeit – täglich oder wöchentlich – ohne Ausnahmen ist ein sehr probates Mittel zur Prävention von psychischen Erkrankungen. Beabsichtigte Prävention von psychischen Erkrankungen auf der einen Seite, Ausnahmen bei der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auf der anderen Seite – das wirkt widersprüchlich.
Darüber hinaus solle sich Mehrarbeit auszahlen, indem diese steuerlich privilegiert wird. In diesen Genuss kommen dann jedoch nicht die Mitarbeitenden, die im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit tätig sind. Wer die tägliche oder auch wöchentliche Arbeitszeit nicht erfasst, erfasst in der Regel auch keine Überstunden.
Ferner haben sich CDU/CSU und SPD geeinigt, die richtigen Rahmenbedingungen für die steigenden Herausforderungen der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz zu setzen. Hierzu sollen Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen ermöglicht werden. Während Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz nach § 30 Abs. 2 BetrVG längst möglich sind, wird die erneute Möglichkeit der Online-Betriebsversammlungen in homeoffice affinen Betrieben wohl auf viel Zuspruch stoßen. Diese waren online nur während der Corona-Pandemie erlaubt. Auch die Option Betriebsratswahlen online durchzuführen, liest sich zunächst gut. Sie könnte in manchen Betrieben gar zu einer erhöhten Wahlbeteiligung führen. Allerdings bleibt die konkrete Umsetzung dieser Option abzuwarten. Allein die Anforderungen an eine reine elektronische Bekanntmachung des Wahlausschreibens sind aktuell so hoch, dass dies in der Praxis, soweit dem Autor bekannt, kaum – allenfalls ergänzend – genutzt wird.
Darüber hinaus erfordere der Einsatz von KI in Unternehmen eine faire Regelung im Umgang mit den Mitarbeitendendaten im Betrieb sowie eine entsprechende Qualifizierung der Beschäftigten. Das ist korrekt. Was aus den Erfordernissen gesetzgeberisch folgt, lässt der Koalitionsvertrag leider offen. Gerade das Thema Qualifizierung ist in Rahmen von Betriebsvereinbarungsverhandlungen zu technischen Einrichtungen – mithin KI – immer wieder einer der großen Streitpunkte.
Schlussendlich wird noch ein Punkt aufgegriffen, der in der jüngeren Vergangenheit immer wieder konfliktträchtig war: Das digitale Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe solle ermöglicht werden.
Alles in allem greift der Koalitionsvertrag wichtige Themen der Arbeitswelt auf. Einem Koalitionsvertrags ist es jedoch immanent, dass dieser die angesprochenen Themen nicht detailreich aufarbeitet. Es bleibt also abzuwarten, wie die beabsichtigten Themen gesetzgeberisch umgesetzt werden. Vielleicht löst sich der aufgeworfene Widerspruch – Prävention von psychischen Erkrankungen vs. keine Arbeitszeiterfassung bei Vertrauensarbeitszeit – noch auf.
[1] BAG 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616.