40 Abs. 1 BetrVG
Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, die von ihm übernommenen und beglichenen Betriebsratskosten im Wege der Aufrechnung von dem betroffenen Betriebsratsmitglied zurückzuverlangen.
LAG Niedersachsen 30.8.2022 – 9 Sa 945/21, BeckRS 2022, 26861
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Zahlungsanspruch im Zusammenhang mit der Erforderlichkeit von Kosten des Betriebsrats. Der als Busfahrer beschäftigte Kläger ist Mitglied des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats.
Im Oktober 2019 beschloss der Betriebsrat, den Kläger zu Schulungsveranstaltungen zu entsenden. An einer der Schulungen nahm der Kläger im Februar 2020 teil. Im März 2020 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass sie keine Genehmigung zur Teilnahme an den Seminaren erteile. Sie begründete die Entscheidung teilweise mit Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Situation.
Eine weitere der Schulungen wurde durch dem Seminaranbieter verschoben. Der Betriebsrat fasste im Mai 2020 den Beschluss, den Kläger auf das verschobene Seminar zu entsenden. Der Kläger teilte der Beklagten im Juni 2020 über seinen Rechtsanwalt mit, dass der Teilnahme an den Schulungen keine Reiseeinschränkungen entgegenstünden. Der Rechtsanwalt des Klägers übersandte der Beklagten für sein Tätigwerden eine Rechnung in Höhe von 413,90 EUR. Die Beklagte forderte den Kläger auf, die Rechnung zu begleichen, was dieser nicht tat. Sodann beglich die Beklagte die Rechnung und zog die übernommenen Kosten für die Beauftragung des Rechtsanwalts vom Nettoverdienst des Klägers ab.
Hiergegen setzte sich der Kläger mit seiner Klage zur Wehr.
Entscheidungsgründe
Das LAG Niedersachsen verurteilte die Beklagte, an den Kläger 413,90 EUR – die einbehaltene Vergütung des Klägers – zu zahlen.
Die Beklagte sei nicht nach § 40 Abs. 1 BetrVG dazu verpflichtet gewesen, die Kosten des Rechtsanwalts des Klägers zu tragen. Die Beauftragung des Rechtsanwalts sei nicht erforderlich gewesen. Infolge des Beschlusses des Betriebsrats aus Mai 2020, den Kläger auf das verschobene Seminar zu entsenden, habe es weder eine Ablehnung der Beklagten noch weitere Gespräche gegeben. Warum dennoch das Schreiben des Rechtsanwalts erforderlich gewesen sein soll, sei aus den Umständen nicht ersichtlich.
Die Beklagte könne die Erstattung der von ihr gezahlten Rechtsanwaltskosten auf Grundlage der Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677 ff. BGB nicht vom Kläger verlangen. Sobald eine gesetzliche Sonderregelung eine Risikoverteilung vorsehe, kämen die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zur Anwendung, da andernfalls die normierte Risikoverteilung unterlaufen würde. Der Anwendung der §§ 677 ff. BGB stünden §§ 40 Abs. 1, 2 Abs. 1, 78 S. 2 BetrVG entgegen. In § 40 Abs. 1 BetrVG sei die Kostenübernahme für Betriebsratstätigkeiten durch den Arbeitgeber geregelt, soweit sie erforderlich ist. In solchen Fällen könne der Arbeitgeber prüfen, ob die Voraussetzungen für die Kostenübernahme vorliegen. Übernehme der Arbeitgeber – aus welchen Gründen auch immer – die Kosten, sei es ausgeschlossen, dass er diese von der Nettovergütung des Klägers abzieht. Soweit der Arbeitgeber der Auffassung ist, dass geltend gemachte Kosten nicht im Sinne von § 40 Abs. 1 BetrVG erforderlich seien, möge er die Übernahme der Kosten verweigern.
Des Weiteren könne die Möglichkeit, die Rechnungserstattung von der Nettovergütung des Klägers abzuziehen, eine Benachteiligung im Sinne des § 78 BetrVG darstellen. Eine Benachteiligung liege vor, wenn eine Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Beschäftigten allein wegen ihrer Tätigkeit innerhalb der Betriebsverfassung erfolge. Andere Beschäftigte könnten nicht in der Situation des Klägers geraten, da es sich um Kosten des Betriebsrats handeln würde.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, wie späteren Streitigkeiten vorgebeugt werden kann. Es empfiehlt sich, die Reaktion des Arbeitgebers auf einen Beschluss des Betriebsrats, ein Betriebsratsmitglied auf eine Schulung zu entsenden, proaktiv herbeizuführen. Soweit diese negativ beschieden oder trotz Fristsetzung ausbleibt, kann – meistens durch das Gremium selbst – nach ordnungsgemäßer Beschlussfassung anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Diese Kosten sind dann regelmäßig gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG von dem Arbeitgeber zu tragen.
Darüber hinaus ist die Entscheidung zu begrüßen. Der Versuch der individualrechtlichen Geltendmachung von betriebsverfassungsrechtlich entstandenen – wenn auch nicht gemäß § 40 BetrVG erforderlichen – Kosten gegenüber einem Betriebsratsmitglied ist der falsche Weg. Der Arbeitgeber hätte hier nicht einfach den vermeidlich leichten Weg der Kostenbegleichung gegenüber dem externen Dritten beschreiten dürfen, um sich dann an dem abhängig beschäftigten Betriebsratsmitglied gütlich zu tun, sondern vielmehr im Rahmen der Zahlungsklage gegen das Unternehmen, die mögliche Nichterforderlichkeit der anwaltlichen Beauftragung geltend machen müssen. Insoweit ist der besondere Schutz der Betriebsratsarbeit vor Beeinträchtigung beziehungsweise Benachteiligung richtigerweise betont worden.
Gegen die Entscheidung des LAG Niedersachsen hat die Beklagte Revision eingelegt, die beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 7 AZR 338/22 geführt wird. Ob das Bundesarbeitsgericht der Ansicht der Beklagten folgen wird, wird sich zeigen.