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Handelt ein Arbeitnehmer böswillig im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG, wenn er während des Kündigungsschutzprozesses auf eine Beschäftigung gemäß einem von ihm erstrittenen Weiterbeschäftigungsurteil beharrt und ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses ablehnt?
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Vergütung wegen Annahmeverzugs und dabei zu der Frage, ob der Kläger es böswillig unterlassen hat, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Die beklagte Arbeitgeberin kündigte im Februar 2019 das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 30.9.2019. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage, der das Arbeitsgericht im August 2019 stattgab. Zugleich verurteilte es die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. Ihre Berufung nahm die Beklagte Ende Dezember 2019 zurück.
Im September 2019 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Angebot zur Begründung eines auf die Dauer des Gerichtsverfahrens befristeten Prozessarbeitsverhältnisses. Vorgesehen war die bisherige Vergütung, jedoch ohne eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und einem bezahlten Urlaub. Der Kläger forderte seinerseits die Beklagte auf, ihn entsprechend dem arbeitsgerichtlichen Urteil weiter zu beschäftigen.
Mit der im November 2019 anhängig gemachten Klage verlangt der Kläger Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit von Oktober bis Dezember 2019. Die Beklagte vertritt die Ansicht, der Anspruch sei nicht entstanden, weil der Kläger böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen habe.
Entscheidungsgründe
Das Bundesarbeitsgericht bestätigt die Vorentscheidung (Vgl. LAG Baden-Württemberg 26.1.2021 – 19 Sa 51/20) und damit den Anspruch des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs. Die Beklagte habe den Kläger nicht beschäftigt und sich aufgrund der unwirksamen Kündigung im Annahmeverzug befunden, ohne dass ein erneutes Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer erforderlich gewesen sei. Gegen den Anspruch könne die Arbeitgeberin nicht die böswillige Unterlassung anderweitigen Verdienstes in dem angebotenen Prozessarbeitsverhältnis einwenden.
Weil nach der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Arbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozess das Arbeitsverhältnis fortbestanden habe, richte sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG. Danach müsse sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.
Im Sinne dieser Vorschrift unterlasse ein Arbeitnehmer dann böswillig einen anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm zumutbare Arbeit nicht aufnimmt oder bewusst verhindert (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG 19.5.2021 – 5 AZR 420/20).
Die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers während eines Kündigungsschutzprozesses könne – abgesehen von dem betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG – auf unterschiedliche Weise erfolgen, so durch vertragliche Vereinbarung über eine vorübergehende Fortsetzung des gekündigten Arbeitsverhältnisses, aufgrund eines zweckbefristeten Arbeitsvertrags oder durch die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers aufgrund des titulierten Weiterbeschäftigungsanspruchs.
Der gekündigte Arbeitnehmer, der ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil erstritten habe, sei nicht verpflichtet, ein Prozessarbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber einzugehen. § 11 Nr. 2 KSchG regele eine aus § 242 BGB hergeleitete Obliegenheit, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme finde jedoch dort eine Grenze, wo der Arbeitnehmer einen (vorläufig) vollstreckbaren Titel und damit einen den Arbeitgeber bindenden Rechtsanspruch habe. (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 205/21)
Bedeutung für die Praxis
Das Bundesarbeitsgericht bestätigt seine Rechtsprechung (BAG 19.5.2021 – 5 AZR 420/20) und führt diese konsequent weiter. Im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen versuchen Arbeitgeber immer wieder, mit dem Angebot eines (schlechteren) Prozessarbeitsverhältnisses ein eventuell nur vorgeschobenes Weiterbeschäftigungsverlangen zu enttarnen. Einem Arbeitnehmer ist es in diesen Fällen allerdings nicht vorzuwerfen, wenn er nach einem obsiegenden Urteil seinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend macht und die Annahme eines Prozessarbeitsverhältnisses ablehnt.