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Können Corona-Prämien, die einem Arbeitnehmer in der Gastronomie vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden, aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als unpfändbare Erschwerniszuschläge gemäß § 850a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden? Mit dieser Frage hatte sich das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zu befassen.
Was war geschehen?
Die Parteien streiten um die Pfändbarkeit einer vom beklagten Arbeitgeber an seine Mitarbeiterin gezahlten Corona-Prämie.
Die Klägerin ist zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Mitarbeiterin bestellt worden, die im gastronomischen Betrieb des Beklagten in der Zeit vom 1.7. bis zum 31.12.2020 als Küchenhilfe beschäftigt war. Im September 2020 arbeitete sie nicht nur als Küchengehilfin, sondern auch als Thekenkraft. Der Beklagte zahlte ihr für diesen Zeitraum neben dem Festlohn von 1.350 EUR (brutto) und Sonntagszuschlägen von 66,80 EUR (brutto) eine Corona-Unterstützung in Höhe von 400 EUR. Ausgehend von einem pfändungsrelevanten Nettoverdienst im September 2020 (Nettolohn nebst Corona-Unterstützung ohne Sonntagszuschläge) in Höhe von 1.440,47 EUR errechnete die Klägerin einen pfändbaren Betrag in Höhe von 182,90 EUR.
Nachdem ihre auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen gerichtete Klage vom Arbeitsgericht abgewiesen wurde, verfolgt die Klägerin ihr Begehren nun mit der Berufung weiter.
Die Entscheidungsgründe
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen wies die Berufung ab und begründete dies damit, das von der Mitarbeiterin im September 2020 erzielte Nettoeinkommen in Höhe von 1.507,27 EUR sei insgesamt unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin entzogen.
Gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 InsO gelte § 850a ZPO im Insolvenzverfahren entsprechend. Nach § 850a ZPO würden unpfändbare Bezüge nicht zur Insolvenzmasse gehören. Unstreitig unterfalle der Sonntagszuschlag in Höhe von 66,80 EUR entsprechend § 850a Nr. 3 ZPO nicht der Insolvenzmasse.
Im Hinblick auf das übrige Nettoeinkommen hatte das Gericht zu entscheiden, ob die steuerfreie Corona-Sonderzahlung zur Erhöhung des pfändungsrelevanten Einkommens auf einen Betrag von insgesamt 1.440,47 EUR zu bewerten ist. Andernfalls wäre das restliche Einkommen in Höhe von 1.040,47 EUR (netto) entsprechend § 850c Abs. 1 Nr. 1 ZPO ebenfalls nicht pfändbar, sodass das Einkommen insgesamt nicht der Insolvenzmasse unterfallen würde.
Unpfändbarkeit zugunsten von Pflegekräften auch in der Gastronomie?
Entscheidend war daher, ob die Corona-Prämie pfändungsfreies Einkommen im Sinne § 850a Nr. 3 ZPO darstellt. Dies wäre der Fall, wenn es sich dabei um eine Erschwerniszulage oder Gefahrenzulage gemäß § 850a Nr. 3 ZPO handelt, die im Rahmen des Üblichen bleibt. Während das Arbeitsgericht in der ersten Instanz noch offen ließ, ob die Corona-Sonderzahlung eine Erschwernis- oder Gefahrenzulage sei, ging das LAG Niedersachsen von einer Erschwerniszulage aus.
Dabei stehe dem Rückgriff auf § 850a Nr. 3 ZPO die Bestimmung in § 150a Abs. 8 S. 4 SGB XI nicht entgegen. Nach dieser Regelung sind Corona-Sonderzahlungen für Pflegekräfte ausdrücklich unpfändbar. Aus einer solchen ausdrücklichen Regelung für den Pflegebonus lasse sich jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, andere Corona-Prämien sollten der Pfändung unterliegen. Soweit eine Unpfändbarkeit nicht ausdrücklich geregelt sei, seien demnach die allgemeinen Vorschriften der §§ 850 ff. ZPO (entsprechend) heranzuziehen.
Als Erschwerniszulage im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO seien auch solche Vergütungen erfasst, die Beschäftigte dafür erhalten, unter Umständen zu arbeiten, die für ihre Gesundheit nachteilig sind und besondere Maßnahmen zu ihrem Schutz und ihrer Sicherheit erfordern. Dies sei bei der Tätigkeit der Mitarbeiterin in dem gastronomischen Betrieb des Beklagten im September 2020 der Fall gewesen. Bei ihrer Tätigkeit habe die Schuldnerin coronabedingte Abstandsregelungen einzuhalten, Hygienevorschriften und insbesondere die Maskenpflicht zu beachten gehabt. Zugleich sei sie als Thekenkraft durch den Kundenkontakt einer höheren Gefahr ausgesetzt gewesen, sich mit Corona zu infizieren. Hinzu kämen psychische Belastungen aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unklaren gesundheitlichen Auswirkungen einer Covid-Erkrankung und fehlenden Möglichkeiten, sich durch eine Impfung oder Medikamente gegen diese zu schützen. Gerade diese erschwerenden Umstände habe der Beklagte durch die Corona-Sonderzahlung kompensieren wollen.
Diese Einordnung der Corona-Prämie als Erschwerniszulage sei auch unter Berücksichtigung des im Rahmen der §§ 850 ff. ZPO geschützten Interesses der Gläubigerin an einer effektiven Zwangsvollstreckung aufrechtzuerhalten. Deren Interesse sei im Zwangsvollstreckungsrecht mit dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse der Schuldnerin an der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage in Ausgleich zu bringen. Zur Umsetzung dieses Schutzauftrages hätten die Gesetzgeber die Unpfändbarkeit von Erschwerniszulagen gemäß § 850a Nr. 3 ZPO geregelt. Für die Reichweite dieser Regelung müsse auf gesetzgeberische Wertungen abgestellt werden, nach denen bestimmte Arbeitsumstände als besonders belastend anzusehen seien. Aus der ausdrücklichen Regelung der Unpfändbarkeit des „Pflege-Bonus“ könne nicht schon geschlossen werden, dass eine besondere Belastung nur für diesen Bereich anerkannt werden solle. Vielmehr sei auch die steuerrechtliche Vorschrift des § 3 Nr. 11a EStG heranzuziehen, wonach die Corona-Prämie bis zu einem Betrag von 1.500 EUR steuerfrei gestellt werde. Daraus werde der gesetzgeberische Wille deutlich, Corona-Sonderzahlungen sollten den Beschäftigten uneingeschränkt zukommen. Diese Wertung der Gesetzgeber sei auf das Zwangsvollstreckungsrecht zu übertragen und somit eine Unpfändbarkeit anzunehmen.
Auch bei der Frage nach dem Rahmen des Üblichen knüpft das LAG Niedersachsen an die gesetzgeberische Wertung des § 3 Nr. 11a EStG an. Da die Gesetzgeber eine Corona-Unterstützung bis zu einem Betrag in Höhe von 1.500 EUR steuerfrei gestellt haben, halte sich die Zahlung des Beklagten in Höhe von 400 Euro im Rahmen des Üblichen.
Bedeutung für die Praxis
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das LAG Niedersachsen die Revision zugelassen. Da die Klägerin hiervon Gebrauch gemacht hat, bleibt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Sache 8 AZR 14/22 abzuwarten.
Angesichts der zeitlich begrenzten Möglichkeit, steuerfreie Corona-Sonderzahlungen zu leisten, sind auch die praktischen Auswirkungen des Urteils auf den Zeitraum begrenzt, in dem solche Zahlungen einer Pfändung unterliegen können. Die in diesem Zeitraum betroffenen Fälle sind jedoch potentiell zahlreich. Eine Bestätigung der Entscheidung des LAG Niedersachsen durch das Bundesarbeitsgericht würde daher Rechtssicherheit für zahlreiche Beschäftigte bedeuten. Darüber hinaus gibt das Urteil des LAG Niedersachsen Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen zum Zwangsvollstreckungsrecht.
Die Entscheidung des Gerichts überzeugt im Ergebnis, wirft jedoch in der Begründung weiterführende Fragen auf. Das LAG Niedersachsen begründet die Unpfändbarkeit mit dem gesetzgeberischen Schutzauftrag hinsichtlich der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Schuldner. Für die Frage, ob die Corona-Prämie diesem Schutzauftrag unterfällt, stellt es dann jedoch auf eine weitere Wertung ab, nämlich den – aus § 3 Nr. 11a EStG ersichtlichen – Willen der Gesetzgebers, die Corona-Sonderzahlung solle in voller Höhe bei den Beschäftigten verbleiben. Derselbe Wille drückt sich jedoch schon allgemein im Pfändungsschutz aus: Was der Unpfändbarkeit unterliegt, soll in voller Höhe bei den Schuldnern verbleiben.
Der Rückgriff auf eine nochmalige gesetzgeberische Wertung zur Begründung der Unpfändbarkeit ist somit entweder ein Zirkelschluss oder bringt zum Ausdruck, dass sich der Pfändungsschutz nicht in der Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Schuldner erschöpft. Die Vorschriften des Pfändungsschutzes dienen in erster Linie dem Schutz der wirtschaftlichen Existenzgrundlage der Schuldner. Die Fälle, in denen die Unpfändbarkeit darüber hinausgreift, sind sehr begrenzt und erfassen meist Sachen oder Werte, deren Pfändung als besonders ungerecht angesehen wird, etwa weil sie einen vergleichsweise geringen wirtschaftlichen, aber hohen persönlichen Wert haben.
Mit seiner Entscheidung erkennt das LAG Niedersachsen nun implizit an, dass das Interesse der Gläubiger an der effektiven Durchsetzung ihrer Forderungen durch die Zwangsvollstreckung mitunter auch in Fällen zurückstehen muss, in denen die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Schuldnerin nicht unmittelbar betroffen ist. Denn die Corona-Sonderzahlungen in Höhe von bis zu 1.500 EUR übersteigen den Betrag des zum Schutz der wirtschaftlichen Existenzgrundlage unpfändbaren Einkommens mitunter deutlich. Dennoch würde eine Pfändung als zutiefst ungerecht empfunden. Der hinter dieser Rechtsfortbildung steckenden Wertung ist beizupflichten. Auch dort, wo die wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht unmittelbar betroffen ist, kann es dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widerstreben, die für eine erbrachte Leistung an der Gesellschaft erhaltene Vergütung dem wirtschaftlichen Interesse der Gläubiger unterzuordnen.