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Ermächtigt eine Betriebsvereinbarung den Arbeitgeber einseitig dazu, ein bereits erarbeitetes Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto zu verwenden, um dem Arbeitnehmer künftig weniger Schichten zuteilen zu müssen, verschiebt diese Regelung in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Arbeitnehmer, wenn dieser nicht frei darüber entscheiden kann, ob und wie viele Schichten ihm zugeteilt werden.
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Arbeitgeberin berechtigt ist, für den klagenden Arbeitnehmer geführte Zeitkonten ohne dessen Zustimmung miteinander zu verrechnen. Die entsprechenden Betriebsvereinbarungen treffen hierzu keine expliziten Aussagen.
Der Kläger arbeitet bei der Beklagten aufgrund eines in Bezug genommenen Tarifvertrags in 24-Stunden-Schichten.
Bei der Beklagten werden für die Mitarbeiter aufgrund verschiedener Betriebsvereinbarungen mehrere Zeitkonten geführt. Auf dem Sollkonto werden zu Beginn jeden Jahres die jährlich seitens der Mitarbeiter geschuldeten 120 Schichten als Minus abgebildet, die über das Jahr abgebaut werden müssen. Neben den Sollschichten erbringen die Mitarbeiter noch weitere Tätigkeiten, wie beispielsweise Fortbildungen und Tagesdienste. Diese weiteren Tätigkeiten passen nicht immer in das Schema des Sollkontos. In diesem Fall werden diese Tätigkeiten auf einem gesonderten Stundenkonto erfasst. Guthaben aus diesem Stundenkonto können in das Lebensarbeitszeitkonto übertragen werden, was den Mitarbeitern den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen soll.
Die Schichten werden von Dienstplanern auf die Beschäftigten verteilt. Die Mitarbeiter können in der Vollzugspraxis bei der Dienstplanung zudem Frei- und Tauschwünsche äußern, über deren Bewilligung die Arbeitgeberin entscheidet.
In den Jahren 2015 bis einschließlich 2022 buchte die Arbeitgeberin insgesamt 1.776 Stunden vom Stundenkonto des Mitarbeiters auf dessen Sollkonto – ohne dessen Zustimmung.
Entscheidungsgründe
Die erkennende Kammer entschied (LAG Köln 11.07.2023 – 4 Sa 359/23), dass die Beklagte keinen Anspruch darauf hat, Guthaben auf dem Stundenkonto mit offenen Stunden auf dem Sollkonto einseitig zu verrechnen. Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die den Arbeitgeber dazu berechtigt, Verrechnungen zwischen dem Stunden- und dem Sollkonto einseitig vorzunehmen, sei unwirksam. Eine solche einseitige Verrechnung übertrage das Betriebsrisiko des Arbeitgebers in unrechtmäßiger Weise auf die Belegschaft.
Mit dem Betriebsrisiko würden Leistungsstörungen umschrieben, bei denen die Arbeitsleistung des arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmers aus im Betrieb liegenden Gründen unterbleibe. In solchen Fällen sei der Arbeitgeber nach § 615 BGB zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Zwar sei die Regelung des § 615 BGB grundsätzlich abdingbar. Die Grenze der Abdingbarkeit ergebe sich aber daraus, dass der Arbeitgeber nicht generell das ihn treffende Arbeitsentgeltrisiko auf den Mitarbeiter verlagern dürfe. Dies sei vorliegend jedoch geschehen.
Wenn der Arbeitgeber gänzlich frei darüber entscheiden könne, inwieweit er Stunden von dem Stundenkonto auf das Sollkonto verschiebt, führe dies im Falle des Arbeitsausfalls – aus welchen Gründen auch immer – dazu, dass der Arbeitgeber ohne Weiteres berechtigt wäre, Mitarbeiter mit entsprechendem Guthaben auf dem Stundenkonto nicht mehr einzusetzen, da er letztlich eigenverantwortlich über den Schichtplan entscheide. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitsausfall – also die Realisierung des Betriebsrisikos – keine finanziellen Konsequenzen für den Arbeitgeber hätte, da er lediglich die Stunden vergüten müsste, die der Mitarbeiter ohnehin bereits irgendwann in der Vergangenheit verdient habe. Ausreichend sei dabei die abstrakte Möglichkeit, dass der Arbeitsausfall auf einem Betriebsrisiko beruhe und diese auf die Mitarbeiter übertragen werden könnte.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist begrüßenswert. Abzuwarten bleibt, ob sie der Revision standhält. Das Verfahren ist mittlerweile beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 5 AZN 662/23 anhängig.
Das Urteil zeigt deutlich auf, dass Betriebsräte bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen zum Thema Arbeitszeit und Arbeitszeitkonten das Rechtsinstitut der Betriebsrisikolehre im Blick haben und sodann behalten sollten. Können Mitarbeiter nicht frei entscheiden ob und wie viele Schichten ihnen zugeteilt werden, ist in den Betriebsvereinbarungen explizit zu regeln, dass der Arbeitgeber keine einseitige Möglichkeit hat, Stunden von verschiedenen Arbeitszeitkonten miteinander zu verrechnen.