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Nach § 6 Abs. 5 ArbZG ist es grundsätzlich den Tarifvertragsparteien vorbehalten, die Ausgestaltung des vom Arbeitgeber geschuldeten Ausgleichs für Nachtarbeit zu regeln. Besteht keine tarifliche Regelung, gelten die gesetzlichen Bestimmungen.
In der Regel haben die Tarifparteien aber von ihrer Regelungskompetenz Gebrauch gemacht. Häufig werden dabei die Belastungen der Nachtarbeit durch die Zahlung von Zuschlägen ausgeglichen. Insoweit differenzieren eine Vielzahl von Tarifverträgen bei der Zuschlagshöhe danach, ob es sich um regelmäßige – im Schichtbetrieb – oder um unregelmäßige, gelegentlich zu leistende Nachtarbeit handelt. Soweit Nachtarbeit unregelmäßig anfällt, wird diese in der Regel deutlich höher entlohnt. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, inwiefern eine solche tarifliche Regelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Das Bundesarbeitsgericht hatte solche Regelungen bis zum Jahr 2018 nicht beanstandet. Dann folgte der „Paukenschlag“: Mit Urteil vom 21.03.2018 entschied es, dass eine tarifvertragliche Regelung, die für unregelmäßig zu leistende Nachtarbeit einen Zuschlag von 50 %, für Nachtarbeit im Schichtbetrieb jedoch nur einen Zuschlag von 15% vorsieht, Nachtschichtarbeitnehmer gleichheitswidrig schlechter stellt (BAG 21.03.2018 – 10 AZR 34/17).
Grundsätzliche Entscheidung des BAG
Das BAG hat erstmals im Jahre 2020 in zwei Verfahren seine vorherige Entscheidung bestätigt und klargestellt, dass eine tarifliche Regelung, nach der sich der Zuschlag für Nachtarbeit halbiert, wenn sie innerhalb eines Schichtsystems geleistet wird, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen kann (BAG 09.12.2020 – 10 AZR 334/20).
In zwei weiteren Verfahren sah es eine Differenzierung der Nachtarbeitszuschläge wohl als gerechtfertigt an, erbat allerdings zunächst den EuGH um Vorabentscheidung. Dieser wiederum sah den Anwendungsbereich des Unionsrechts im Hinblick auf Nachtarbeitszuschläge als nicht eröffnet an. Mithin lag der Ball nun beim BAG: es hatte zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Differenzierung der tariflichen Nachtarbeitszuschläge mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein kann und stellte fest:
Eine tarifliche Regelung verstößt dann nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn neben dem Gesundheitsschutz weitere, aus dem Tarifvertrag erkennbare Zwecke verfolgt werden. Ein solcher Zweck kann in dem Ausgleich der zusätzlichen Belastungen aufgrund schlechterer Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit liegen (BAG 22.02.2023 – 10 AZR 332/20).
Die Begründung des BAG
In seinen Entscheidungen betont das BAG zunächst, dass die Tarifparteien im Rahmen der Tarifautonomie frei sind, überhaupt einen tariflichen Ausgleich für erbrachte Nachtarbeit zu regeln. Ferner sind sie frei, den gesetzlichen Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich der Regelungen zur Nachtzeit und des Ausgleichsanspruchs auch für solche Arbeitnehmer:innen zu erweitern, die nach dem Gesetz keine Nachtarbeitnehmer sind.
Entscheiden sich die Tarifparteien für eine tarifliche Ausgleichsregelung, sind die Tarifparteien bei der näheren Ausgestaltung von Kompensationsregelungen zwar grundsätzlich freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber. Insbesondere sind sie nicht an die von der Rechtsprechung entwickelten Regelwerte für gesetzliche Nachtarbeitszuschläge gebunden. Jedoch haben auch sie zu beachten, dass der Gesundheitsschutz beim Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit im Vordergrund steht und diesem Genüge getan werden muss. Tarifliche Regelungen müssen die mit der nächtlichen Arbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren.
Insoweit sind tarifliche Regelungen, die Ansprüche auf bezahlte Freizeit und damit eine Verringerung der Arbeitszeit vorsehen, wenn diese Ansprüche zeitnah gewährt werden, vorzugswürdig gegenüber reinen Nachtarbeitszuschlägen. Nichtsdestotrotz bleibt es den Tarifparteien nicht verwehrt, auch auf reine Zuschlagsregelungen zurückzugreifen.
Enthalten Tarifverträge aber eine Differenzierung zwischen den Zuschlägen für regelmäßige Nachtschichtarbeit und unregelmäßiger Nachtarbeit, liegt hierin ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, sofern diese unterschiedliche Behandlung der Nachtarbeit nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden kann.
Allein aus der Tatsache, dass Arbeitnehmer:innen regelmäßig oder unregelmäßig in der Nacht arbeiten, lässt sich eine unterschiedliche Bezahlung nicht rechtfertigen. Erst recht nicht in der Weise, dass die unregelmäßig geleistete Nachtarbeit höher vergütet wird. Im Gegenteil. Nach bisherigem arbeitsmedizinischem Kenntnisstand steigt die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit mit der Anzahl der Nächte im Monat und der Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird. Das legt es nahe, die regelmäßige Nachtschichtarbeit aufgrund der damit verbundenen höheren Belastung mit höheren Zuschlägen zu vergüten.
Eine tarifliche Regelung, die allein zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit differenziert und für die höhere Bezahlung der unregelmäßig geleisteten Nachtarbeit keinen erkennbaren Sachgrund anführt, verstößt also gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dies hat zur Folge, dass der tariflich höhere Nachtarbeitszuschlag für alle Arbeitnehmer:innen gilt, die Nachtarbeit leisten.
Etwas anderes kann aber gelten, wenn die unterschiedliche Bezahlung der Nachtarbeit durch einen Sachgrund gedeckt ist. Dieser muss sich als weiterer Zweck neben dem Gesundheitsschutz aus der tariflichen Regelung entnehmen lassen. Als ein solcher, legitimer Zweck kommt der Ausgleich für die schlechtere Planbarkeit und Vorhersehbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit in Betracht.
Dieser Zweck muss allerdings „Niederschlag“ im Wortlaut des jeweiligen Tarifvertrages gefunden haben. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Nachtarbeitszuschläge dem Wortlaut nach für „regelmäßige“ bzw. „unregelmäßige“ Nachtarbeit geleistet werden. In dem Begriffspaar „regelmäßig – unregelmäßig“ kommt zum Ausdruck, dass die Tarifparteien das langjährige Verständnis der Rechtsprechung vor Augen hatten. Danach rechtfertigte unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag, da diese weniger planbar ist. An dieses Verständnis wollen die Tarifparteien regelmäßig anknüpfen.
Liegt ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Bezahlung vor, ist allein die Höhe der Differenz zwischen den Zuschlägen für regelmäßige oder unregelmäßige Nachtarbeit für die Bewertung, ob eine Regelung mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist oder nicht, ohne Bedeutung. Insoweit ist eine Angemessenheitsprüfung durch die Tarifautonomie ausgeschlossen.
Im Ergebnis kommt es nach dem BAG für die Differenzierung von Zuschlägen für regelmäßige oder unregelmäßige Nachtarbeit allein darauf an, ob diese durch einen Sachgrund gerechtfertigt sind, der sich auch der zugrundliegenden tariflichen Regelung entnehmen lässt.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Auswirkungen der Entscheidungen sind erheblich, dies lässt sich an der Klagewelle vor den Arbeitsgerichten ablesen. Der DGB Rechtsschutz geht von mehr als 6.000 Verfahren bei den Instanzgerichten aus.
Anhand der vom BAG entwickelten Kriterien sind bestehende Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob diese einen sachlichen Grund für die Differenzierung von Nachtarbeitszuschlägen enthalten. Sofern dies nicht der Fall sein sollte, sind Tarifverträge anzupassen. Den Tarifunterworfenen ist anzuraten, auf höhere Nachtarbeitszuschläge zu klagen.
Gleichfalls ist beim Abschluss neuer Tarifverträge besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit dem Gesundheitsschutz dienen und tarifliche Regelungen dieser Zwecksetzung insbesondere dann dienlich sind, wenn sie hierfür Entlastung schaffen. Vorzugswürdig ist ein zeitnaher Freizeitausgleich, durch den die Arbeitszeit zugleich reduziert wird.