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Können ein unentschuldigtes Fehlen sowie eine eigenmächtige Urlaubnahme einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen? Ist ein Arbeitnehmer grundsätzlich berechtigt, sich selbst zu beurlauben – unabhängig davon, ob ihm ein Freistellungsanspruch zusteht?
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Der Kläger war bei der beklagten Verkehrsgesellschaft als Busfahrer beschäftigt und zeitweise Betriebsratsvorsitzender. Seit Anfang 2020 nahm er keine Betriebsratstätigkeit mehr wahr.
Im September 2020 verhandelte die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di über den Abschluss eines Tarifvertrags. Der geltende Tarifvertrag sah die Möglichkeit der Arbeitsbefreiung zur Teilnahme an Tarifverhandlungen auf Anforderung der Gewerkschaft vor. In Vorbereitung der Verhandlungen rief der Kläger anlässlich der Erkrankung eines Mitglieds der Tarifkommission zu einer Gewerkschaftsversammlung auf. Dort wurde er zum nachrückenden Mitglied gewählt.
Am Tag nach der Versammlung beantragte der Kläger bei der Beklagten die Freistellung für die anstehenden Tarifverhandlungen. Dies lehnte der Vorgesetzte ausdrücklich unter Hinweis auf den bestehenden Personalmangel und das Fehlen einer Grundlage für das Freistellungsbegehren des Klägers ab. Am darauffolgenden Tag teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er sich zu den Tarifverhandlungen begeben werde und blieb vom Dienst fern. Durch seine Abwesenheit kam es zu wesentlichen Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs: Kollegen mussten seine Aufgaben übernehmen, einige der geplanten Touren entfielen ganz. Die Beklagte kündigte dem Kläger außerordentlich.
Entscheidungsgründe
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern erachtet die außerordentliche Kündigung des Klägers für wirksam. Im Rahmen des § 626 BGB sei zu prüfen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar sei. Eine außerordentliche Kündigung scheide aus, wenn „schonendere“ Gestaltungmittel – wie etwa eine Abmahnung – geeignet seien, das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Nach Ansicht der Richter sei ein unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers und eine eigenmächtige Urlaubnahme geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen. Hierbei handele es sich um eine Verletzung der Hauptpflicht des Arbeitsverhältnisses – die Arbeitsleistung. Selbst wenn ein Anspruch auf Erteilung von Urlaub oder Freistellung gegeben wäre, sei ein Arbeitnehmer nicht berechtigt, sich selbst zu beurlauben oder freizustellen. Ein solcher Anspruch sei im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes durchsetzen.
Das Gericht stellt fest, dass die Beklagte darauf bestanden habe, dass der Kläger arbeitet und nicht für die Tarifverhandlungen freigestellt wird. Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, sich eigenmächtig von der Arbeitsleistung freizustellen. Davon abgesehen habe der Kläger auch keinen tarifvertraglichen Freistellungsanspruch gehabt. Nach dem Tarifwortlaut setze eine Arbeitsbefreiung eine Anforderung der Gewerkschaft voraus, die es nicht gegeben habe. Weiterhin sei eine vorherige Abmahnung einer vergleichbaren Pflichtverletzung entbehrlich gewesen. Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass die Beklagte eine bewusste Arbeitsverweigerung ohne Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers sowie der weiteren Mitarbeiter hinnehmen werde. Auch lasse das Verhalten des Klägers – die bewusste Missachtung des Dienstplans und der Anweisung eines Vorgesetzten – auf ein grundlegendes Fehlverständnis zu den Rahmenbedingungen einer abhängigen Beschäftigung schließen. (LAG Mecklenburg-Vorpommern 23.11.2021 – 5 Sa 88/21)
Bedeutung für die Praxis
Von der Entscheidung nicht erfasst ist der Anspruch auf Befreiung von der beruflichen Tätigkeit für Betriebsratsmitglieder aus § 37 Abs. 2 BetrVG für die Betriebsratstätigkeit. Dieser setzt – im Gegensatz etwa zur Gewährung von Urlaub nach § 7 BUrlG – keine Zustimmung, sondern nur die Abmeldung beim Arbeitgeber voraus (BAG 29.6.2011 − 7 ABR 135/09).
Abseits der Betriebsratsarbeit ist grundsätzlich von einer Selbstbeurlaubung abzuraten. Denn damit ist der Anwendungsbereich des § 626 BGB eröffnet. Selbst wenn ein Anspruch auf Urlaub oder Freistellung besteht, sollte zur Durchsetzung des Anspruchs der Rechtsweg beschritten werden. Die Rechtsprechung schließt die Möglichkeit eines Selbstbeurlaubungsanspruchs nicht kategorisch aus. Ein solcher kann jedoch allenfalls nach einer grundlosen Ablehnung eines Urlaubsantrags, einer übermäßig lang ausbleibenden Reaktion des Arbeitgebers darauf sowie bei einem drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen in Betracht kommen (BAG 20.5.2021 – 2 AZR 457/20).