§15 AGG
- Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung einer Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Frau wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts.
- Die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts bzw. einer Schwangerschaft ist widerlegt, wenn ausschließlich andere Gründe zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben. Gegen eine Diskriminierung spricht es, wenn jeder andere in dieser Situation – unabhängig von seinem Geschlecht oder einer Schwangerschaft – ebenso behandelt worden wäre. (Leitsätze des Gerichts)
LAG Mecklenburg-Vorpommern, 16.08.2022 – 5 Sa 6/22; Beck RS 2022, 24768
Sachverhalt
Die Parteien streiten über eine Entschädigungsforderung wegen einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung.
Die Klägerin leitete als angestellte Rechtsanwältin eine Außenstelle der Kanzlei des Beklagten. Nachdem die Klägerin schwanger geworden war, entschied der Beklagte sich, die Außenstelle der Kanzlei zu schließen. Die Klägerin sollte fortan am Hauptstandort der Kanzlei arbeiten. Dies lehnte sie ab, da der Beklagte ihre täglich dreistündige Fahrtzeit dorthin nicht als Arbeitszeit vergüten wollte.
Als er feststellte, dass auf dem Rechner der Klägerin Dateien zu unterschiedlichen von ihr bearbeiteten Verfahren gelöscht worden waren, kündigte der Beklagte die Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Klägerin bestritt, die Dateien selbst gelöscht zu haben.
Die Klägerin verklagte den Beklagten daraufhin auf Zahlung einer Entschädigung von drei Monatsgehältern, weil die Kündigung unzulässig sei und sie wegen ihrer Schwangerschaft benachteilige. Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG für unzulässig, wies jedoch den Antrag der Klägerin auf Entschädigung ab. Gegen diese Abweisung des Entschädigungsanspruchs legte sie Berufung ein.
Entscheidungsgründe
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern wies die Berufung ab, da die Klägerin keinen Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG auf Zahlung einer Entschädigung gegen den Beklagten habe.
Für einen solchen Anspruch hätte eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vorliegen müsse. Dies wäre der Fall gewesen, hätte der Beklagte die Klägerin aufgrund ihrer Schwangerschaft gekündigt. Dafür reiche aus, dass ihre Schwangerschaft als Motiv mitursächlich gewesen sei.
Eine Mitursächlichkeit der Schwangerschaft für die Kündigung hat das LAG in seiner Entscheidung jedoch verneint. Dafür spräche zwar einerseits die Missachtung der Schutzvorschrift des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG und die sich daraus ergebende offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung. Dieser Umstand indiziere eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft und damit des Geschlechts der Klägerin; mithin trage der Beklagte gem. § 22 AGG die Beweislast für das Gegenteil.
Ein Einfluss der Schwangerschaft auf den Kündigungsentschluss ist vorliegend jedoch abzulehnen. Denn der Beklagte habe überzeugend vorgetragen, Grund für die Kündigung sei das durch die Klägerin vorgenommene Löschen von Verfahrensdaten im elektronischen Mandatsverwaltungssystem gewesen. Angesichts dieses Vorwurfs habe der Beklagte eine Kündigung in Betracht ziehen dürfen.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des LAG schließt an die Rechtsprechung des BAG an, insbesondere an die Entscheidung vom 12.12.2013 – 8 AZR 838/12 zur Frage, wann die Kündigung von Schwangeren gegen Schutzvorschriften des AGG verstößt.
In der betrieblichen Praxis sind Verstöße gegen das AGG für den Betriebsrat insbesondere im Rahmen von personellen Maßnahmen nach §§ 99 ff. BetrVG zu berücksichtigen. Bei Maßnahmen nach § 99 Abs. 1 BetrVG wird durch einen arbeitgeberseitigen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des AGG ein Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG begründet, sodass insbesondere bei Einstellungs-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen der Schutz von hochrangigen Persönlichkeitsrechten zusätzlich auf kollektivrechtlicher Ebene gewährleistet wird.
Bei einer Anhörung nach. § 102 BetrVG sollte der Betriebsrat stets das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 AGG im Blick haben. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor. Der Arbeitgeber muss im Rahmen der Anhörung die Gründe für seinen Kündigungsentschluss vortragen. Besteht die Vermutung, dass die vorgetragenen Gründe nicht allein ursächlich für die Kündigung sind, sondern daneben auch die Schwangerschaft eine Rolle bzw. eindeutig die Hauptrolle spielt, so sollte der Betriebsrat seine Bedenken i.S.d. § 102 Abs. 2 BetrVG gegen die Kündigung fristgerecht schriftlich äußern.
Lena Rohe,
Rechtsanwältin in Köln
[1]BAG 21.8.2019 – 7 AZR 563/17, BeckRS 2019, 30263.