Photo by Gabriel Benois on Unsplash
Am 10.12.2021 haben der Bundestag und der Bundesrat im Rahmen des Gesetzes zur „Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie” unter anderem eine veränderte Fassung des ehemals aufgehobenen § 129 BetrVG beschlossen. Befristet möglich ist nunmehr die digitale Durchführung von Betriebs-, Teil- und Abteilungsversammlungen sowie Betriebsräteversammlungen und Jugend- und Auszubildendenversammlungen mittels audio- visueller Einrichtungen.
Die veränderten betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen treten am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft.
Neufassung des § 129 BetrVG
Die ursprüngliche – ebenfalls befristete – Fassung des § 129 BetrVG wurde nicht über den 30.06.2021 hinaus verlängert. Durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz am 18.06.2021 erfolgte die dauerhafte und gleichwohl durchaus auch kontroverse bzw. kritisch zu sehende Ermöglichung des Gesetzesgebers, Betriebsratssitzungen digital zuzulassen. Für Betriebs-, Teil- und Abteilungsversammlungen, Betriebsräteversammlungen und Jugend- und Auszubildendenversammlungen sowie Einigungsstellen gab es keine Regelung und damit Genehmigung.
Nunmehr wurde durch Artikel 5 des Impfpräventionsstärkungsgesetzes folgender Wortlaut des § 129 BetrVG festgelegt:
„§ 129
Sonderregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie
(1) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können bis zum Ablauf des 19. März 2022 auch mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.
(2) Die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle sowie die Beschlussfassung können bis zum Ablauf des 19. März 2022 auch mittels einer Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. Die Teilnehmer, die mittels Video- und Telefonkonferenz teilnehmen, bestätigen ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden der Einigungsstelle in Textform.
(3) Der Deutsche Bundestag kann durch im Bundesgesetzblatt bekannt zu machenden Beschluss einmalig die Fristen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 um bis zu drei Monate verlängern.“
Ausnahme aufgrund ansteigender Inzidenzzahlen und nicht ausreichender Impfquote
In der Gesetzesbegründung wird in Bezug auf die Versammlungen die Ausnahmeregelung dahingehend erläutert, dass ohne eine solche Regelung dem höherrangigen Gesundheitsschutz nicht genüge getan werden könne und dann die Gefahr bestehe, dass Betriebsversammlungen nicht stattfinden könnten. Für die Praxis hilfreich zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten ist der Hinweis, dass sowohl eine Übertragung in Videokonferenzräume des jeweiligen Betriebs wie auch die Übertragung über das Internet möglich sind.
Auch für die Zulassung der Ausnahmeregelung hinsichtlich der Einigungsstelle wird auf die Gründe des höherrangigen Gesundheitsschutzes Bezug genommen. Es wird darauf verwiesen, dass auch eine hybride Form der Ausgestaltung möglich ist. Weiterhin, dass durch technische Maßnahmen, wie Verschlüsselungen, als auch organisatorische Maßnahmen, wie die Nutzung nichtöffentlicher Räume oder Protokollerklärungen, der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz gewährleistet sein muss.
Prinzip Hoffnung: kein neuer Normalzustand
Die Beweggründe des Gesetzgebers eine befristete Ausnahmeregelung zu schaffen, um eine mit dem Gesundheitsschutz vereinbare Fortführung betriebsverfassungsrechtlicher Grundelemente weiter durchführen zu können, sind nachvollziehbar und letztlich auch begrüßenswert.
Es bleibt jedoch zu hoffen, dass der Gesetzgeber hier – anders als bei der „Modernisierung“ des Betriebsverfassungsgesetzes und der damit einhergehenden Ermöglichung von digitalen Betriebsratssitzungen – bei der Ausnahme bleibt. Denn sowohl für die Betriebsversammlung als auch die Einigungsstelle gehören ein kontroverser Austausch und pointiert geführte Diskussionen schlichtweg als Kernelemente dazu. Hierzu sind Körpersprache und Mimik wichtig, zudem der Austausch von vielen und nicht einigen wenigen Teilnehmern, der regelmäßig digital ausbleibt. Gerade in Situationen eines emotionalen Personalabbaus, der für alle Beteiligten keine leicht zu lösende Situation darstellt, ist das Defizit in der Kommunikation noch herausfordernder und nicht hilfreich. Häufig entstehen durch das verringerte Maß an Kommunikation zudem Probleme zwischen den Betriebsparteien, die in Präsenz nicht entstanden wären. Weiterhin werden viele Gremien erfahrungsgemäß unter Druck gesetzt, auf diesen wichtigen Austausch aufgrund von Kostenersparnissen zu verzichten.
Digital kann also vielleicht als „modern“, „zeitgemäß“ oder auch „angesagt“ beschrieben werden, nicht aber als „gleichwertig“, „effektiv“ oder „die vertrauensvolle Zusammenarbeit fördernd“. Das Gegenteil ist der Fall.
Digitale Sitzungen auch für den EBR und SE-BR möglich
Ebenfalls befristet lässt der Gesetzgeber für Europäische Betriebsräte, SE-Betriebsräte oder besondere Verhandlungsgremien die am 30.06.2021 nicht mehr verlängerte Möglichkeit zu, digitale Sitzungen und Beschlüsse durchzuführen. Dies ist in Anbetracht der derzeitigen Pandemielage genauso nachvollziehbar, einer generellen Zulassung einer digitalen Möglichkeit gegenüber bestehen aber die gleichen ausdrücklichen Bedenken.