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§ 38, 37 Abs. 1, 2 BetrVG
Ein nach § 38 BetrVG freigestelltes Betriebsratsmitglied hat nur dann Anspruch auf Zuschläge wegen Nacht-, Sonntags- oder Feiertagsarbeit sowie auf eine Rufbereitschaftspauschale, wenn er die Betriebsratsarbeit auch unter den erschwerten Bedingungen erbringt. Führt er die Betriebsratstätigkeiten hingegen ausschließlich zu üblichen Bürozeiten von Montag bis Freitag aus, stehen ihm die Zulagen nicht zu, auch wenn er vor der Freistellung entsprechend gearbeitet und Zuschläge erhalten hat. (Leitsatz des Gerichts)
Hessisches Landesarbeitsgericht 13.06.2023 – 12 Sa 1293/22
Sachverhalt
Der Kläger ist ein vollständig freigestelltes Betriebsratsmitglied der seine Betriebsratstätigkeit während der üblichen Bürozeiten wahrgenommen hat. Daher wurden ihm durch den beklagten Arbeitgeber die Wechselschichtzulage sowie die Zulagenpauschale (unter anderem für Nachtarbeit) nicht länger gewährt, welche er zuvor im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erhalten hatte. Der Kläger vertrat die Auffassung, darin liege eine Benachteiligung aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit, ihm stünde sowohl die Wechselschichtzulage als eine weitere Zulagenpauschale gem. § 37 Abs. 2 BetrVG zu.
Das Arbeitsgericht Kassel hatte die Klage in erster Instanz zurückgewiesen[1], der Kläger legte hiergegen Berufung ein und verfolgte weiter die erstinstanzlich geltend gemachten Zahlungsansprüche.
Entscheidungsgründe
Im Ausgangspunkt gilt, dass Zuschläge die aufgrund eines Erschwernisses (bspw. Nachtarbeit, oder Rufbereitschaftspauschale) gezahlt werden, nur dann zu zahlen sind, wenn die Arbeit tatsächlich unter erschwerten Bedingungen erbracht wird.
In seiner Entscheidung setzte sich das LAG Hessen sich mit der Frage auseinander, inwieweit dies auch entsprechend für freigestellte Betriebsräte gilt. Für diese besteht ein Benachteiligungsverbot, normiert in § 78 S. 2 BetrVG. Demnach sollen sie wegen ihrer Tätigkeit im Betriebsrat nicht schlechter gestellt werden. Das Benachteiligungsverbot wird durch den Entgeltfortzahlungsanspruch konkretisiert. So ist gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern ihr Arbeitsentgelt weiterhin zu zahlen. Dies umfasst grundsätzlich auch Zuschläge wegen Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, welche für die Erschwernis der Arbeit zu ungünstigen Zeiten gewährt werden.
Nun hat das Hessische LAG – in Anlehnung an eine Entscheidung des BAG[2] aus dem Jahr 2016 – den Anspruch auf die Fortzahlung der Zuschläge verneint. Maßgeblich war für das Gericht, dass der Kläger seine Betriebsratsarbeit ausschließlich zu den üblichen Bürozeiten ausgeführt hat. Der fehlende Anspruch beruhe insofern nicht auf der Freistellung. Das LAG räumt zwar ein, dass der Kläger einen Teil seiner Betriebsratsarbeit nur zu diesen Zeiten ausführen kann, jedoch treffe das nicht auf alle Tätigkeiten zwingend zu; der Kläger sei insofern in seiner Betriebsratsarbeit flexibel und habe seine Zeiten eigenverantwortlich gewählt.
Unerheblich sei, dass der Kläger die Zuschläge vor seiner Arbeitsbefreiung im Rahmen des Schichtsystems erhalten hat. Während der üblichen Bürozeiten treffen die Erschwernisse und Bedingungen, die zum Beispiel durch die Nachtarbeit ausgelöst werden, den Kläger – so das LAG Hessen – nicht. Durch eine Zahlung würde er nach Auffassung des LAG gegenüber den Mitarbeitenden bessergestellt, die tatsächlich unter den erschwerten Bedingungen arbeiten.
Bedeutung für die Praxis
Gegen die Entscheidung des Hessischen LAG hat der Kläger Revision eingelegt, welche unter dem Aktenzeichen 197/23 beim BAG anhängig ist. Die Entscheidung des BAG ist dementsprechend abzuwarten. Anders als in der – vom LAG Hessen ausdrücklich in Bezug genommen – Entscheidung des BAG aus dem 2016 hatten im hiesigen Fall das Betriebsratsmitglied und der Arbeitgeber gerade nicht vereinbart, dass die Betriebsratstätigkeit ausschließlich während der üblichen Geschäftszeiten erfolgen sollte. 2019 hatte das ArbG Dresden einen mit der hiesigen Entscheidung vergleichbare Sachlage noch anders als das LAG Hessen beurteilt und zugunsten des klagenden Betriebsratsmitglieds entschieden.[3]
Die durch § 37 Abs. 2 BetrVG bezweckte Förderung der Bereitschaft zur Übernahme eines Betriebsratsamtes, wird bei der Entscheidung des LAG Hessen nicht hinreichend berücksichtigt. Betriebsratsmitglieder sollen keine Furcht vor Einkommenseinbußen haben müssen. Für Arbeitnehmende, die regelmäßig solche Zuschläge erhalten, gehören diese zu ihrem regulären Einkommen. Wenn Ansprüche auf Zuschläge – etwa der Wechselschichtzuschlag – durch die Freistellung eines Betriebsrats wegfallen, so wird diese Zwecksetzung des § 37 Abs. 2 BetrVG unterlaufen. Der Kläger hätte, wenn er nicht freigestellt wäre, im Wechselschichtsystem gearbeitet, und somit den entsprechenden Zuschlag verdient, ebenso wie die anderen Zuschläge.
[1] ArbG Kassel 1.6.2022 – 6 Ca 197/21
[2] BAG 18.05.2016 – 7 AZR 401/14, NZA 2016, 1212
[3] ArbG Dresden 27.02.2019 – 13 Ca 2259/18