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I. Herausforderung
Bis zu den nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen im Frühjahr 2026 ist zwar noch Zeit, im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen leitenden Angestellten und Arbeitnehmer:innen lohnt sich – losgelöst von den Wahlvorschriften – jedoch ein Blick auf eine aktuelle Entscheidung zur Anfechtung einer Betriebsratswahl. In vielen Fällen kann man darüber streiten, ob Arbeitnehmer:innen rechtlich als „normale“ Arbeitnehmer:innen anzusehen sind oder zur Gruppe der leitenden Angestellten gehören. Eine entsprechende Zuordnung ist an zahlreichen Stellen für die Betriebsratsarbeit notwendig, u.a. beim Kündigungsschutz, beim Thema Arbeitszeit oder bei den im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Schwellenwerten.
II. Inhalt der Entscheidung
In seinem Beschluss vom 04.05.2022 (Aktenzeichen 7 ABR 14/21) hatte das BAG darüber zu entscheiden, ob das gewählte Betriebsratsmitglied eines einköpfigen Betriebsrats leitende Angestellte ist und damit bei der Wahl des Betriebsrats weder wahlberechtigt noch wählbar wäre. Das gewählte Betriebsratsmitglied (Frau B) arbeitet als Store-Managerin in einer – als selbstständiger Betrieb geltenden – Filiale eines Einzelhandelsunternehmens für Dekorationsartikel mit bundesweit 58 Filialen. Als Store-Managerin ist Frau B fachliche und disziplinarische Vorgesetzte von allen fünf Mitarbeitenden, die in der Filiale beschäftigt sind. Zu ihren Aufgaben nach der Stellenbeschreibung gehört u.a. die Rekrutierung und Entlassung von Mitarbeitenden, unter Berücksichtigung von Budgetvorgaben. Ihre Begründung zur Stellung als leitende Angestellte, stützt die Arbeitgeberin auf § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und Nr. 3 BetrVG.
1. 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG
Die Zuordnung von Mitarbeitenden zum Kreis der leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG erfordert die Berechtigung zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb bzw. der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmer:innen, sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis. Dieses Zuordnungskriterium wird gesetzlich damit begründet, dass Einstellungen und Entlassungen Instrumente der Personalwirtschaft sind und damit unternehmerische Tätigkeit. Wenn eine entsprechende Personalverantwortung an Mitarbeitende übertragen wird, so sind sie Repräsentant:innen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat. Erforderliches Kriterium dazu ist jedoch, dass die Personalverantwortung nicht nur eine geringe Anzahl von Mitarbeitenden umfasst. Die geforderte Personalkompetenz ist in diesen Fällen regelmäßig nur von untergeordneter unternehmerischer Bedeutung, es sei denn, sie bezieht sich auf einen für das Unternehmen qualitativ bedeutsamen Personenkreis.
Die hinreichende „unternehmerische Gewichtigkeit“ wurde im Falle der Store-Managerin verneint, da sich ihre Personalkompetenz lediglich auf fünf Mitarbeitende von insgesamt 58 Filialen der Arbeitgeberin bezog. Darüber hinaus habe die tatsächliche Ausgestaltung der Befugnisse von Frau B – abweichend von ihrer Stellenbeschreibung – ergeben, dass nicht sie selbst, sondern die für alle Filialen zuständige Personalleitung in der Vergangenheit Arbeitsverträge und Kündigungen unterschrieb.
2. 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG
Auch die Stellung als leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG wurde im Falle der Store-Managerin verneint. Das BAG argumentierte damit, dass die in der Auffangnorm verwandten Worte „sonstige Aufgaben“ zum Ausdruck bringen, dass Mitarbeitende spezifische unternehmerische Führungsaufgaben beispielsweise in wirtschaftlicher, technischer, kaufmännischer, organisatorischer, personeller, rechtlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht wahrnehmen. Dazu müsse den Mitarbeitenden rechtlich und tatsächlich ein eigener und erheblicher Entscheidungsspielraum zur Verfügung stehen. Die Tätigkeiten und Aufgaben von Frau B ließen die Annahme eines maßgeblichen Einflusses auf die Unternehmensführung der Arbeitgeberin jedoch nicht zu. Sämtliche Tätigkeiten wie die Aufstellung der Dienstpläne, die Zuteilung der durch die Mitarbeitenden zu erledigenden Arbeiten sowie die Ausübung des Direktionsrechts verdeutlichen zwar die Vorgesetztenstellung der Store-Managerin, darüber hinaus fehlt es jedoch am erforderlichen wesentlichen Einfluss auf die Unternehmensführung, um als leitende Angestellte iSd. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG angesehen zu werden.
III. Auswirkungen auf die Betriebsratsarbeit
Die BAG-Entscheidung verdeutlicht, dass die Unterscheidung zwischen leitenden Angestellten und Arbeitnehmer:innen in der Praxis Schwierigkeiten aufwirft. Es ist begrüßenswert, dass das BAG nun klarstellt, dass die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung zum Kreis der leitenden Angestellten nicht allein durch die fachliche und disziplinarische Verantwortung sowie Personalführungsbefugnis für einen kleinen Arbeitnehmerkreis oder die Bezeichnung im Anstellungsvertrag zu begründen ist.
Vielmehr muss für die Herausnahme aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes eine unternehmerische Schlüsselposition vorliegen. Dies grenzt den Kreis der potenziellen leitenden Angestellten stärker ein. Betriebsräte dürfen daher davon ausgehen, dass Mitarbeitende – sofern sie nicht nach dem oben Gesagten als Repräsentant:innen des Arbeitgebers erscheinen – u.a. über ein passives und aktives Wahlrecht verfügen, von der betrieblichen Mitbestimmung umfasst sind, die Schutzvorschriften bei Kündigung und Versetzung nach dem BetrVG Anwendung finden und die Mitarbeitenden zu den entscheidenden Schwellenwerten z.B. für die Betriebsgröße oder für die Anzahl der Freistellungen nach § 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG mitzählen.
Die BAG-Entscheidung ist auch insofern konsequent, als aus der gesetzgeberischen Intention und der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts zur Bestimmtheit des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG, folgt, dass mit der Vorschrift nicht beabsichtigt ist, einen erheblichen Teil der Angestellten aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes herauszunehmen, sondern vielmehr eine funktionsbezogene Umschreibung der leitenden Angestellten zu schaffen.
Die Beschränkung des BAG auf „unternehmerische Schlüsselpositionen“ sollte Betriebsräten nunmehr helfen, zu unrecht als „leitende Angestellte“ deklarierte Arbeitnehmer:innen wieder ihrem Zuständigkeitsbereich und dem Anwendungsbereich des BetrVG zuzuordnen.