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I. Herausforderung
Spätestens die Pandemie hat das Thema mobile Arbeit auf die Agenda vieler Arbeitgeber befördert. Klar, ein probates Mittel zur Bekämpfung der Pandemie ist die Kontaktreduzierung. Aber aus Sicht der Arbeitgeber lassen sich weitere Argumente für die Einführung von mobiler Arbeit finden. Doch muss auch der Betriebsrat eingebunden werden? Hat er beim Thema mobile Arbeit ein Mitbestimmungsrecht? Das LAG Hessen hatte diese Frage verneint. Zu Recht?
II. Inhalt der Entscheidung
Im vorliegenden Fall hatte die Arbeitgeberseite beschlossen, das freiwillige Arbeitsmodell „mobiles Arbeiten“ im Betrieb einzuführen. Den dortigen Betriebsrat hatte man nicht in die Ausgestaltung der mobilen Arbeit eingebunden.
Der Betriebsrat beantragte eine einstweilige Verfügung, mit der er die Unterlassung des Arbeitsmodells verfolgte – ohne Erfolg. Die Richter:innen in Darmstadt wiesen den Antrag zurück.
1. Keine Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG?
Sodann ging der Betriebsrat in die zweite Instanz. Doch auch das Hessische Landesarbeitsgericht verneinte einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats (Hessisches LAG, 18. Juni 2020 – 5 TaBVGa 74/20). Die Entscheidung der Arbeitgeberseite, „mobile working“ einzuführen, greife das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG – Ordnung des Betriebs – nicht an.
Gegenstand der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Mitarbeiter:innen. Die Mitarbeiter:innen sollen an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens gleichberechtigt teilnehmen. Die Einführung des Arbeitsmodells sei jedoch untrennbar mit der Erbringung der Arbeitsleistung verknüpft und gehöre damit zum mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten. Dieses sei dann berührt, wenn die Arbeitgeber:innen näher bestimmen, welche Arbeiten auszuführen seien und in welcher Weise das geschehen solle – so die Richter:innen des Landesarbeitsgerichts.
Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hinsichtlich der Arbeitszeit bleibe unberührt. Zweck dieses Mitbestimmungsrechts ist es, die Interessen der Mitarbeiter:innen an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich an ihrer freien für das Privatleben nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen, also die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu bestimmen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts bliebe Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage während des „mobile working“ unverändert.
Das Gericht stellte zwar fest, dass Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG – Überwachung der Leistung und des Verhaltens der Arbeitnehmer – sowie § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG – Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz – grundsätzlich relevant sein könnten. Doch die Richter:innen führten weiter aus, dass es keine ausreichenden Anhaltspunkte gebe, dass diese der Durchführung der mobilen Arbeit entgegenstehen.
2. Keine mitbestimmungspflichtige Versetzung?
Letztlich liege auch keine mitbestimmungspflichtige Versetzung vor. Das Hessische Landesarbeitsgericht äußerte sich dahingehend, dass der Schwerpunkt der Leistungserbringung trotz Einführung von mobiler Arbeit weiterhin in der Betriebsstätte liege. Das mobile Arbeiten solle in der Regel nur für eine Woche vereinbart werden und nur im Bedarfsfall verlängert werden können.
Dies stelle keine Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs nach § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG und damit keine Versetzung dar. Dies sei lediglich dann der Fall, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit der Mitarbeiter:innen so verändert habe, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines:r mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters:in als eine „andere“ anzusehen sei (Hessisches LAG 18.06.2020 – 5 TaBVGa 74/20).
III. Auswirkungen auf die Betriebsratsarbeit
1. Liegt tatsächlich keine Mitbestimmung vor?
Der Argumentation des Hessischen Landesarbeitsgericht überzeugt nicht. Bereits zahlreiche andere Gerichte haben sich für eine Mitbestimmung des Betriebsrats in der Ausgestaltung von mobiler Arbeit ausgesprochen:
- ArbG Stralsund 30.12.2019 – 14 BV 4/19, bestätigt durch LAG Mecklenburg-Vorpommern 25.02.2020 – 5 TaBV 1/20
- ArbG Bremen-Bremerhaven vom 19.12.2019, 6 BV 630/19, bestätigt durch LAG Bremen 04.03.2020 – 3 TaBV 1/20
- ArbG Berlin vom 10.01.2020, 6 BV 14653/19, bestätigt durch LAG Berlin-Brandenburg 07.04.2020 – 7 TaBV 147/20
- ArbG Berlin vom 14.01.2020, 4 BV 14647/19, bestätigt durch LAG Berlin-Brandenburg 09.04.2020 – 1 TaBV 152/20
- ArbG München 17.01.2020, 33 BV 413/19
- ArbG Stuttgart 11.03.2020, 30 BV 261/19
- ArbG Braunschweig vom 17.01.2020, 7 BV 21/19, bestätigt durch LAG Niedersachsen 29.04.2020 –17 TaBV 6/20 (Offenlegung: in den soeben aufgezählten Verfahren haben wir jeweils den Antragsteller vertreten)
Zu Recht, wie wir meinen. Allein der Umstand, dass mobiles Arbeiten die Nutzung eigener oder dienstlich beschaffter elektronischer Geräte voraussetzt und diese naturgemäß die Möglichkeit eröffnen, das Verhalten oder die Leistung von Mitarbeiter:innen zu überwachen, führt in die zwingende Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Denn hiernach sind die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeiter:innen zu überwachen, mitzubestimmen.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass dieselben Geräte in der mobilen Arbeit genutzt werden, die auch in der Betriebsstätte verwendet werden, kann dies nicht die Mitbestimmung entfallen lassen. Schließlich können Geodaten in der mobilen Arbeit anfallen, die im Zweifel bei einer ausschließlichen Verwendung in der Betriebsstätte nicht interessiert hätten.
Auch eine Mitbestimmung in Bezug auf die Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG liegt regelmäßig vor. Zwar wird in vielen Betrieben eine entsprechende Betriebsvereinbarung vorhanden sein, welche Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Pausen festlegt. Doch allein aus den Gegebenheiten und Anforderungen der mobilen Arbeit wird sich zusätzlicher Regelungsbedarf ergeben.
2. Mitbestimmung im Rahmen des Arbeitsschutzes
Mit Blick auf das Ausmaß der zeitlichen Erreichbarkeit und der Gewährleistung der Arbeitssicherheit außerhalb der Betriebsstätte ist darüber hinaus die mitbestimmungspflichtige Ausgestaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG betroffen. Dieses Mitbestimmungsrecht betrifft Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der Unfallverhütungsvorschriften.
Im Rahmen der mobilen Arbeit ist die Erbringung der Arbeitsleistung an jedem denkbaren Ort möglich – auf Reisen, im Hotel, im Park oder auch der eigenen Wohnung. Allein dieser Umstand macht eine Regelung erforderlich. Zwar findet die Arbeitsstättenverordnung nur auf die Telearbeit Anwendung, doch müssen Arbeitgeber:innen auch bei der mobilen Arbeit die Einhaltung des Arbeitsschutzes sicherstellen. Sie haben im Hinblick auf die Besonderheiten der mobilen Arbeitsplätze die individuell erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen, um ein ausreichendes Schutzniveau für die Mitarbeiter:innen zu wahren.
Um zu beurteilen, welche Maßnahmen zur Wahrung der arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen im Einzelfall erforderlich sind, haben Arbeitgeber:innen eine Gefährdungsbeurteilung in physischer als auch in psychischer Hinsicht durchzuführen, deren Durchführung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist (BAG 15.01.2002 –1 ABR 13/01). Typische Gefährdungspotentiale im Rahmen der mobilen Arbeit stellen bspw. Belastungen durch ungünstige ergonomische Arbeitshaltung sowie Belastungen durch störende äußerliche Einflüsse dar. Große Bedeutung hat hier auch die Ausgestaltung einer regelmäßigen Unterweisung.
3. Weitere Tatbestände der Mitbestimmung
Weiterhin stößt die Aussage des Hessischen Landesarbeitsgerichts, die mitbestimmungspflichtige Ordnung des Betriebs nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sei nicht betroffen, diesseits auf Unverständnis. Sobald die mobile Arbeit in einem Betrieb von einem Genehmigungsverfahren abhängt, ist die Art und Weise der Erbringung der Arbeitsleistung betroffen und die Mitbestimmung eröffnet. Von der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dürften auch Vorgaben zu datenschutzrechtlichen Anforderungen umfasst sein, wie Regelungen, ob bzw. welche Arbeitsunterlagen aus dem Betrieb mitgenommen werden müssen oder wie Mitarbeiter:innen mitzuwirken haben, wenn ihnen eine Datenpanne bekannt werden (LAG Schleswig-Holstein 06. August 2019 – 2 TaBV 9/19). Letztlich handelt es sich hierbei um Handlungen der Mitarbeiter:innen, die über das reine Arbeitsverhalten hinausgehen.
Schlussendlich kann auch nicht nachvollzogen werden, dass der Wechsel in die mobile Arbeit keine mitbestimmungspflichtige Versetzung sein soll. Bereits im Jahr 2014 hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG Düsseldorf 10.9.2014 – 12 Sa 505/14; Fitting, § 99 Rn. 138) festgestellt, dass der Wechsel von einem betrieblichen Arbeitsplatz auf einen Telearbeitsplatz eine beteiligungspflichtige Versetzung darstellt. Die Einbindung der Mitarbeiter:innen in den Betriebsablauf und die Aufgabenerfüllung sei auch bei nur teilweiser Telearbeit aufgrund von deren Besonderheiten eine völlig andere als ohne Telearbeit, so dass sich bei der Beendigung der Telearbeit das Bild der Tätigkeit grundsätzlich ändere. Warum dies bei der mobilen Arbeit anders sein soll, ist kaum begründbar. Unabhängig von der Bezeichnung – Telearbeit oder mobile Arbeit – arbeiten die Mitarbeiter:innen nicht mehr im Betrieb, sondern in aller Regel zuhause.
4. Klarheit durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz?
Durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird klarstellend § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG eingeführt, der den Betriebsräten die Mitbestimmung bei der „Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird“ einräumt. Die durch entgegenläufige Gerichtsentscheidungen begründete Rechtsunsicherheit gehört somit (bald) der Vergangenheit an. Betriebsräte werden endlich ihre Rechte in Bezug auf die Einführung von mobiler Arbeit geltend machen können, ohne Gefahr zu laufen, die Mitbestimmung gerichtlich durchsetzen zu müssen.