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Mahnt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen eines bestimmten Verhaltens ab, so schließt dies eine spätere Kündigung, die auf den gleichen, dem Arbeitgeber bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Abmahnung bekannten Sachverhalt gestützt wird aus.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über eine arbeitgeberseitig ausgesprochene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Weigerung des hiergegen klagenden Arbeitnehmers, eine Mund-Nasen-Schutzmaske während der Arbeit zu tragen.
Am 2.11.2020 weigerte sich der Kläger, eine Mund-Nasen-Schutzmaske während des Arbeitseinsatzes zu tragen. Nachdem er darauf hingewiesen worden war, dass alle Mitarbeiter der Beklagten eine solche Maske tragen sollten, verließ er ohne Erlaubnis den Einsatzort. Am 3.11.2020 blieb der Kläger entschuldigungslos der Arbeit fern.
Die Beklagte hörte den Betriebsrat am 12.11.2020 zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung an. Dieser verweigerte seine Zustimmung. Am 13.11.2020 mahnte die Beklagte den Kläger aufgrund seines Verhaltens am 2.11.2020 und 3.11.2020 ab, wobei der Kläger zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der erfolgten Anhörung des Betriebsrats hatte. Hierbei erklärte die Beklagte, dass ab dem 16.11.2020 Arbeitseinsätze geplant seien. Zudem wies sie den Kläger darauf hin, dass sie sich den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vorbehalte, sofern der Kläger erneut ohne Mund-Nasen-Schutzmaske zur Arbeit erscheint.
Am 20.11.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.6.2021. Hiergegen werden sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht Wiesbaden stellt in seiner Entscheidung fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden ist und ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers besteht. Damit folgt es der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum konkludenten Verzicht auf den Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses infolge einer erfolgten Abmahnung (ständige Rechtsprechung, grundlegend BAG 10.11.1988 – 2 AZR 215/88, zuletzt BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15).
Durch den Ausspruch der Abmahnung am 13.11.2020 habe die Beklagte zu erkennen gegeben, dass auf die Pflichtverstöße des Klägers vom 2.11.2020 und 3.11.2020 mit einer Abmahnung reagiert werden sollte. Das Arbeitsgericht Wiesbaden führt dazu aus, dass sich die Auslegung der Abmahnung nach dem Empfängerhorizont richte. Entscheidend sei daher, welchen Erklärungsinhalt der Kläger der Abmahnung vom 13.11.2020 entnehmen könne. Eine Abmahnung aufgrund eines konkreten Pflichtverstoßes beinhalte zugleich regelmäßig die Aussage des Arbeitgebers, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht aufgrund dieses Pflichtverstoßes beabsichtigt sei.
Die Abmahnung könne sowohl als Sanktion gegen den Pflichtverstoß als auch als Warnung vor eine Kündigung bei einer Wiederholung des Pflichtverstoßes verstanden werden. Welchen Zweck die Beklagte mit der ausgesprochenen Abmahnung vom 13.11.2020 verfolgt habe, sei ohne Belang. Denn der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass die konkreten Pflichtverstöße vom 2.11.2020 und 3.11.2020 damit für den Arbeitgeber „erledigt“ seien.
Dieser Auslegung stehe auch nicht entgegen, dass der Betriebsrat bereits am 12.11.2020, also vor Ausspruch der Abmahnung, zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers angehört worden war. Da dem Kläger diese Anhörung nicht bekannt gewesen sei, habe er davon ausgehen dürfen, dass keine weiteren Rechtsfolgen aus seinem Verhalten vom 2.11.2020 und 3.11.2020 folgen würden.
Der klägerseitig geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch bestehe aufgrund der ordnungsgemäßen Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats und rechtzeitig eingelegten Kündigungsschutzklage des Klägers. (ArbG Wiesbaden 26.5.2021 – 11 Ca 736/20)
Bedeutung für die Praxis
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte (Vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern 16.3.2021 – 2 Sa 360/20; LAG Rheinland-Pfalz 5.2.2020 – 2 Sa 275/18) ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts Wiesbaden konsequent. Sie bestätigt, dass Arbeitnehmer nach dem Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig davon ausgehen können, dass eine Kündigung nicht aufgrund desselben Pflichtverstoßes erfolgen darf. Die Abmahnung soll als Warnung den Sachverhalt beenden und insbesondere einen möglichen Wiederholungsfall ausschließen.
Zudem stellt das Arbeitsgericht Wiesbaden mit seinem Urteil klar, dass auch eine vor Ausspruch der Abmahnung durchgeführte Anhörung des Betriebsrats aufgrund einer beabsichtigten Kündigung, allenfalls dann eine Ausnahme von dieser Regel darstellen kann, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Abmahnung Kenntnis von der erfolgten Anhörung hatte.