Foto von Markus Spiske auf Unsplash
Einleitung: Worum geht es?
In dem Urteil vom 16.02.2023 (BAG 16.02.2023 – 8 AZR 450/21) beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen.
Verschiedene Gesetze schreiben vor, dass Männer und Frauen grundsätzlich gleichbehandelt werden müssen. Verbote der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts beziehungsweise Gebote der Gleichbehandlung lassen sich vielerorts finden. So zum Beispiel in Art. 3 GG[1] oder in §§ 1, 7 AGG.
In Bezug auf das Arbeitsleben und die „Gender Pay Gap“ dürfen das EntgTranspG und der AEUV nicht unerwähnt bleiben. Nach Art. 157 AEUV und §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG ist gleiche oder gleichwertige Arbeit gleich zu entlohnen.
Art. 157 Abs. 1 AEUV und § 3 EntgTranspG verbieten sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Diskriminierung.[2] Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn sie unmittelbar an das Geschlecht anknüpft.[3]
Eine mittelbare Diskriminierung ist gegeben, wenn trotz des neutralen Anknüpfungspunkts die betroffene Person im Vergleich zu Kolleg:innen (faktisch) benachteiligt wird. Eine solche kann im Gegensatz zur unmittelbaren Diskriminierung zumindest in Einzelfällen gerechtfertigt sein.[4]
Liegt nach dem Klägervortrag eine Entgeltdiskriminierung vor so, muss die Arbeitgeberseite gem. § 22 AGG darlegen, dass die Ungleichbehandlung nicht auf das Geschlecht, sondern auf objektive Faktoren zurückzuführen ist (BAG 21.01.2021 – 8 AZR 488/19). Im Ausgangspunkt wird bereits gem. § 22 AGG gesetzlich vermutet, dass die Ungleichbehandlung eine Diskriminierung darstellt.
Was war geschehen?
Die Klägerin ist seit dem 01.03.2017 im Vertrieb als Außendienstmitarbeiterin beschäftigt. Für diese Tätigkeit erhielt sie zum Zeitpunkt des Arbeitsantritts ein Grundentgelt von 3.500,00 EUR, welches individualvertraglich vereinbart wurde. Im August 2018 erhielt sie eine Gehaltserhöhung, infolgedessen sie nach der Entgelttabelle des neuen Haustarifvertrages 4.140,00 EUR[5] bekam.
Die Klägerin übt die Tätigkeit im Außenbetrieb mit zwei weiteren männlichen Kollegen aus.
Ein Kollege, der seit 1985 in dem Betrieb arbeitet, erhält ein Grundentgelt von 4.500,00 EUR.
Der andere Kollege, der seit Januar 2017 angestellt ist, erhielt nach Verhandlungen mit der Beklagten von Januar 2017 bis Oktober 2017 ebenfalls ein Grundentgelt von 4.500,00 EUR. Seit dem 01.07.2018 wurde er infolge einer Vertragsänderung mit 4.000,00 EUR im Monat vergütet. Die Entgelterhöhung wurde ihm schon beim Einstellungsgespräch zugesichert, da er nach einer Probezeit in die betriebliche Stellung einer ausgeschiedenen Mitarbeiterin einrücken sollte, dessen Arbeitsleistung besser entlohnt wurde (konkret erhielt sie 4.220,00 EUR). Seit August 2018 erhält der Kollege nach dem Haustarifvertrag wie die Klägerin 4.140,00 EUR.
Da der männliche Kollege, der seit Januar 2017 angestellt ist, bis Oktober 2017 um 1.000,00 EUR besser entlohnt worden war, verlangte die Klägerin nun zum einen für jeden Monat (März bis Oktober 2017), an dem sie ein geringeres Entgelt erhalten hatte, 1.000,00 EUR zurück. Zum anderen forderte sie die Zahlung von 500,00 EUR, da der Kollege aufgrund der Vertragsänderung im Juli 2018 500,00 EUR mehr verdient hatte.
Kein Erfolg in den Vorinstanzen:
In den Vorinstanzen wurden die Anträge der Klägerin abgewiesen. Dort hatte sie angeführt, dass die längere Betriebszugehörigkeit, die Privatautonomie und die Tatsache, dass ein Kollege als Nachfolger eingestellt wurde die Entgeltdiskriminierung nicht rechtfertigen könnten.
Das Arbeitsgericht Dresden hielt in der Entscheidung (AG Dresden 04.10.2019 – 5 Ca 638/19) zwar fest, dass auf den ersten Blick eine Geschlechterdiskriminierung naheliege. Jedoch könne die Arbeitgeberin darlegen, dass die unterschiedliche Entlohnung insbesondere durch die längere Betriebszugehörigkeit und den Grundsatz der Privatautonomie gerechtfertigt sei.
Auch das Berufungsgericht Sachsen hat die zulässige Berufung als unbegründet abgewiesen (LAG Sachsen 03.09.2021 – 1 Sa 358/19). Es führte an, dass die Beklagte überzeugend im Sinne des § 22 AGG darlegen konnte, dass keine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung gegeben sei.
Das Landesarbeitsgericht nahm zunächst insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sich die Klägerin und einer der Kollegen gegenseitig längerfristig im Krankheitsfall vertreten haben, eine gleichwertige Tätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG an.
Hinsichtlich des seit 1985 angestellten Kollegen wurde das Dienstalter als legitimer Grund für die Ungleichbehandlung mit Verweis auf die vergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bejaht (BAG 21.01.2021 – 8 AZR 488/19).
In Bezug auf den seit 2017 angestellten Kollegen führte das Landesarbeitsgericht an, dass die Beklagte in den Vertragsverhandlungen allen Arbeitnehmer:innen dieselben Bedingungen angeboten hatte. Bezüglich des Gehalts für den Zeitraum Januar 2017 bis Oktober 2017 vertrat das Landesarbeitsgericht die Ansicht, dass ein legitimer Grund vorläge, da die Grundgehaltserhöhung von 1.000,00 EUR für die Gewinnung des Mitarbeiters erforderlich gewesen sei. Das gleiche Argument brachte es ebenso hinsichtlich der Gehaltsanpassung zum 01.07.2018 vor. Konkret hieß es, dass die Beklagte glaubhaft darlegen könne, dass bereits zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung im November 2016 die Aussicht auf bessere Bedingungen (Bedingungen entsprechend der Position der zuvor ausgeschiedenen Mitarbeiterin) ausschlaggebend für Gewinnung des Bewerbers gewesen seien.
Eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG auf immateriellen Schadenersatz wurde wegen der fehlenden geschlechterbedingten Diskriminierung im Sinne des § 7 AGG abgelehnt.
Hiergegen legte die Klägerin – erfolgreich – Revision ein.
Erfolg vor dem Bundesarbeitsgericht – die Vermutung der Ungleichbehandlung konnte nicht widerlegt werden.
Das Durchhaltevermögen der Klägerin hat sich nun ausgezahlt. Das Bundesarbeitsgericht gab ihr überwiegend Recht.
Vorab ist anzumerken, dass die Richter:innen nicht auf den Faktor der Betriebszugehörigkeit eingingen, da die Feststellung der Ungleichbehandlung in einem Fall genüge. So fokussierten sie sich auf den Kollegen, der seit 2017 angestellt ist.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Widerlegung der Vermutung aus § 22 AGG in Einzelfällen grundsätzlich mit dem Argument der Erforderlichkeit aufgrund der Lage des Arbeitsmarktes möglich sei. Im hiesigen Fall habe die Beklagte jedoch nicht vorgetragen, dass diese Erforderlichkeit aufgrund von Personalgewinnungsschwierigkeiten bestand. Laut der Richter:innen ergebe sich aus ihrem Vortrag gerade nicht, dass keine anderen Bewerber:innen für ein niedrigeres Entgelt gearbeitet hätten.
Bemerkenswert ist, dass das Bundesarbeitsgericht die Privatautonomie als ungeeignet für die Widerlegung der Vermutung betrachtete. Dabei sei unerheblich, dass dem männlichen Kollegen zunächst das gleiche Gehalt wie der Klägerin angeboten oder lediglich seiner Gehaltsforderung nachgegeben wurde. Das Nachgeben einer Gehaltsforderung könne schließlich ebenso von dem Geschlecht der fordernden Person bedingt sein.
Weiter sah das Bundesarbeitsgericht die Nachfolge in eine besser vergütete Position ebenfalls nicht als widerlegenden, objektiven Faktor an. Es hätte allenfalls von der Beklagten vorgebracht werden können, die Stelle des Vorgängers der Klägerin weise niedrigere Anforderungen auf als die Stelle der Vorgängerin des männlichen Kollegen. Zum einen habe die Beklagte dies nicht getan und zum anderen hätte dann bereits die Gleichartigkeit der Arbeit verneint werden müssen.
Zuletzt hielt das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Qualifikation und die Qualität der erbrachten Leistung eine Ungleichbehandlung grundsätzlich rechtfertigen können. Diese Argumente seien vorliegend jedoch zu spät[6] beziehungsweise nicht überzeugend vorgetragen worden.
Schließlich nahm das Bundesarbeitsgericht eine Ungleichbehandlung an und bejahte die Ansprüche aus Art. 157 AEUV und § 3, § 4 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG.
Konsequenterweise wurde zudem ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 15 Abs. 2 AGG zugesprochen.
Das Bundesarbeitsgericht hat damit allen geltend gemachten Ansprüche der Klägerin stattgegeben.
Bedeutung für die Praxis:
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist sehr zu begrüßen. Sie stellt einen wichtigen Schritt für die Beseitigung der faktisch weiterhin bestehenden Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben dar. Das Bundesarbeitsgericht ermöglicht durch diese Entscheidung die Geltendmachung von rückständigen Zahlungen für Mitarbeiter:innen. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass das Urteil die Anforderungen an den legitimen Grund neu statuiert: Arbeitnehmer:innen müssen sich nicht mehr mit dem pauschalen Argument der individualvertraglichen Vereinbarung zufriedengeben. Der Möglichkeit, auf diesem Wege Diskriminierungsverbote zu umgehen, wurde damit ein Ende gesetzt.
[1] Art. 3 I enthält den allgemeinen Gleichheitsrecht, Abs. 2 und 3 enthalten Verbote der Ungleichbehandlung aufgrund bestimmter Kriterien.
[2] Zu Art. 157 AEUV: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Rn. 38 und 43.
[3] Zu § 3 EntgTranspG: Erfurter Kommentar, § 3 Rn. 3; im Bereich der Entgeltgleichheit wird im Rahmen des Art. 157 AEUV auf die Definition des EntgTranspG zurückgegriffen: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Rn. 38.
[4] § 3 Abs. 3 S. 1 EntgTranspG; Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Rn. 47.
[5] Dieses Entgelt wurde gedeckelt, sodass sie nur 3620,00 EUR erhielt. Auch diesbezüglich machte die Klägerin Forderungen geltend, welche in diesem Beitrag nicht behandelt werden.
[6] Das Argument der besseren Qualifikation wurde erstmalig in der Revision vorgetragen.